Sozialistischen Feminismus Neu Denken

Sozialistischen Feminismus Neu Denken

Klaus Markstein
13. Oktober 2021
LLCO.org

I. Theorie

Der Kapitalismus und die Unterdrückung der Frau

Bei all den modernen Theorien über die Unterdrückung der Frau, die heutzutage verbreitet werden, wird es zunehmend wichtig, zu betonen, wie tatsächlich der Kapitalismus diese Unterdrückung verursacht. Die sozialistische Theorie kann den Grund dafür sehr genau erklären.

Frauen können nicht als unterdrückte Gruppe gelten, wenn es keine unterdrückende Gruppe gibt. Diese Gruppe stellen hier die Männer dar. Die Unterdrückung der Frau definiert sich also in ihrem Verhältnis zum Mann. Dieses Verhältnis können wir in Form der Familie sehen und untersuchen.

Friedrich Engels hat sehr ausführlich erklärt, wie die Familie sich im Laufe der Menschheitsgeschichte veränderte, nachdem sich die materiellen Bedingungen verändert hatten. Wir werden uns in diesem Artikel auf einen sehr kompakten Überblick beschränken, der den Leser die Theorie und die darauf aufbauenden Argumente verstehen lässt. Die Theorie in diesem ersten Abschnitt bezieht sich auf die konkrete Situation zur Zeit Friedrich Engels.

Die ersten Formen menschlicher Gemeinschaften waren die Jäger-und-Sammler-Gesellschaften der Urgeschichte. Sie kannten die Unterschiede zwischen Männern und Frauen wegen der natürlichen biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Schwangere Frauen und solche mit pflegebedürftigem Nachwuchs konnten nicht an der Jagd teilnehmen und mussten auf ‚friedliche‘ Weise Nahrung beschaffen. Wir müssen aber beachten, dass es keine natürliche Teilung der Arbeit in männliche Jäger und weibliche Sammlerinnen gab. Wie genau die Arbeit zwischen den Geschlechtern aufgeteilt war, war immer ein Nebenprodukt des spezifischen Kontexts der jeweiligen Gesellschaft, in der sie lebten.

Als die Menschen sesshaft wurden, begannen sie, Viehherden zu halten. Das war ein enormer Zuwachs an Reichtum. Die spärlichen Ressourcen, die ein Menschenstamm zuvor besaß, standen im gemeinsamen Besitz aller Stammesmitglieder. Das war der sogenannte „primitive Kommunismus“. Dieser plötzliche Zuwachs an Reichtum ermöglichte eine neue Form des Eigentums, nämlich das Privateigentum. Die vorher erwähnten Viehherden standen meistens im Besitz des Mannes, da es eine natürliche Trennung der Arbeit in häusliche und außerhäusliche Arbeit gab. Der Bereich des Häuslichen fiel der Frau zu. Sie hatte über ihn das volle Kommando. Den Männern fiel mit der außerhäuslichen Arbeit dagegen der Besitz über das Vieh zu. Außerdem hatten die Menschen durch das Halten von Viehherden nun mehr als genug Nahrung und dies ermöglichte Sklavenbesitz. Als sie noch Jäger und Sammler waren, war es unmöglich, neben seinem eigenen, noch den Lebensunterhalt für Sklaven zu sichern. Besiegte Feinde wurden entweder getötet oder in die eigene Gemeinschaft aufgenommen. Die neu gewonnenen Sklaven waren ebenfalls Eigentum des Mannes, da ihre Haltung in Bezug zur Viehhaltung stand. Sie wurden nämlich in erster Linie zur Pflege der Herden gebraucht.

Ein Mann hatte also einen beträchtlichen Privatbesitz, den er gerne weitervererben würde; verständlicherweise an seine Kinder. Er wollte nicht, dass sein Besitz unter einer Vielzahl von Leuten aufgeteilt und zerstreut wird. Er hatte schließlich sein ganzes Leben damit verbracht, diesen Besitz zum Wohle seiner Familie anzuhäufen, und will, dass seine Kinder von dieser Arbeit profitieren können. Doch das war damals nicht möglich. Die Menschheit entstammt einem Zustand, in dem jeder mit jedem Geschlechtsverkehr haben konnte. Das einzige Familienverhältnis, das sicher bekannt war, war das einer Mutter zu ihren Kindern. Niemand konnte genau sagen, wer der Vater ist. Als die Menschen nun anfingen, Viehherden zu halten, gab es zwar schon einige primitive Formen der Ehe aber wir sind zu diesem Zeitpunkt noch weit von der institutionalisierten und monogamen Einzelehe entfernt, die wir heute kennen. Deswegen konnte ein Kind auch nicht von seinem Vater erben. Wer wusste schon, ob er es wirklich war? Wenn ein Mann starb, dann ging sein Eigentum an seinen nächsten Verwandten mütterlicherseits über. Das konnte zum Beispiel sein Bruder oder sein Neffe sein. Seine Kinder gehörten zu einer anderen mütterlichen Abstammungslinie und kamen daher als Erben nicht in Betracht. Die Männer, wenn sie wollten, dass ihre Kinder ihren Besitz erben konnten, mussten also dafür sorgen, dass eine Form der Ehe vorherrscht, welche die Vaterschaft eindeutig nachvollziehbar macht. Und das ist unsere allseits bekannte, monogame Einzelehe. Geschichtlich gesehen ist es auch mehr als eindeutig, dass die monogame Einzelehe eine Institution ist, welche die männlichen Interessen widerspiegelt. Der Ehebruch eines Mannes wurde als Kavaliersdelikt toleriert. Weibliche Prostitution erlebt sogar heute noch eine Blütezeit. Dagegen fiel eine untreue Frau in der Geschichte einer heuchlerischen Ächtung durch die Gesellschaft zum Opfer.

Das bürgerliche Ideal der Ehe ist also eine von Grund auf sexistische Institution. Sie hat nichts mit romantischer Liebe zu tun; und zwar aus zwei Gründen. Erstens dient sie hauptsächlich dem Zweck, Privateigentum zu erhalten und zu vermehren. Zweitens war es Männern weiterhin stillschweigend erlaubt, mit mehreren Frauen Geschlechtsverkehr zu haben, wodurch sie ihre emotionalen Bedürfnisse außerhalb der Ehe befriedigen konnten. Des Weiteren dienen patriarchalische Vorurteile gegenüber Frauen als Rechtfertigung dafür, dass ihre Männer sie im Haushalt einsperren, um sie leichter zu kontrollieren. Wie es sich mit der monogamen Einzelehe im Proletariat verhält, erklären wir später.

Der aufkommende Kapitalismus hingegen sorgte dafür, dass ein großer Teil der Frauen jetzt in die Arbeiterschaft aufgenommen und zusammen mit ihren Männern ausgebeutet wurde. Hat der Kapitalismus nicht also die traditionellen Verhältnisse aufgebrochen? Die Antwort lautet: ja und nein. Die proletarischen Frauen waren deutlich unabhängiger als die bürgerlichen. Sie waren nun auch Ernährer ihrer Familien im außerhäuslichen Bereich. Aber die Unterdrückung und die Vorurteile verschwanden dadurch nicht. Im Gegenteil, die Kapitalisten nutzen das Vorurteil, Frauen seien schwächer und leisteten schlechtere Arbeit, um ihnen weniger zu bezahlen und die Lohnkosten zu senken. Gleichzeitig konnten sie dadurch Druck auf die männlichen Arbeiter ausüben. Denn wenn diese mehr Lohn oder bessere Arbeitsbedingungen verlangten, konnten die Kapitalisten einfach damit drohen, sie durch eine schlechter bezahlte Arbeiterin zu ersetzen. Das diskriminierende Frauenbild wird von den Kapitalisten also zu ihrem Nutzen aufgegriffen und befördert. Auf die gleiche Weise wird dann Kinderarbeit als Druckmittel verwendet, um den Lohn der Frauen zu senken. Aber die Kapitalisten profitierten auch von Frauen, die zu Hause blieben. Einigen wurde nämlich der Zugang zur Lohnarbeit eingeschränkt oder gar ganz verwährt, wenn sie es sich wirtschaftlich leisten konnten. Es gibt viele Tätigkeiten, die entscheidend sind für die Erhaltung der Gesellschaft, etwa Kindererziehung und die Pflege der Kranken und Alten. In der Vergangenheit konnte man diese Aufgaben noch nicht gewinnbringend organisieren. Aber indem er die alte Familienstruktur beibehielt, konnte der Kapitalismus diese Pflege- und eine ganze Menge Hausarbeiten von unbezahlten Frauen erledigen lassen. Dies war die ursprüngliche Motivation, die patriarchalischen Familienverhältnisse zu übernehmen. Aber hat der Kapitalismus dann wenigstens dafür gesorgt, dass die Arbeitslast eines einzelnen Arbeiters sinkt? Das scheint logisch, wenn man bedenkt, dass sich plötzlich fast doppelt so viele Menschen an der gesellschaftlichen Arbeit beteiligten. Die Antwort ist dennoch ganz klar ‚nein‘. Eben durch die Konkurrenz zwischen Arbeitern und Arbeiterinnen, die der Kapitalist rein zum Zweck der Profitmaximierung schürt, hat sich die Lage des Proletariats und seine Ausbeutung sogar noch verschärft. Um die Arbeiterschaft wirklich zu entlasten, muss das Profitmotiv aus der Produktion verschwinden, und das ist nur im Sozialismus möglich.

Wie sieht es nun mit der Ehe im Proletariat aus? Wir erinnern uns, dass die monogame Einzelehe nur dazu dient, Privateigentum zu erhalten; sie hat nichts mit Liebe zu tun. Das Proletariat aber hat kein Privateigentum. Aus diesem Grund können proletarische Ehen am ehesten dem Ideal der Liebesehe gerecht werden.

Der Sozialismus und die Befreiung der Frau

Im Sozialismus wird die Arbeitskraft jedes Einzelnen zur Vermehrung des gesellschaftlichen Wohlstands verwendet. Die Arbeiter treten nicht mehr untereinander oder mit technologischen Neuerungen in Konkurrenz. Sie arbeiten außerdem nur noch in Berufen, die einen wirklichen Mehrwert für die Gesellschaft haben. Unproduktive Tätigkeiten, die nur der Mehrung des kapitalistischen Profits dienen (z.B. die Werbeindustrie) wird es nicht mehr geben. Wenn ein Anwachsen der Arbeitskräfte oder eine Innovation in der Technik auftritt, dann wird das die gesellschaftlich benötigte Arbeitszeit verkürzen und eine Entlastung aller Arbeiter herbeiführen. Es wird keinen Grund mehr zur künstlichen Verlängerung des Arbeitstags geben. Es ist die Profitgier der Kapitalistenklasse allein, die sie dazu veranlasst, den Arbeitstag oder die Arbeitsintensität immer weiter zu verlängern bzw. zu steigern oder den Arbeitern das möglichste Minimum zu bezahlen. Das betrifft männliche wie weibliche Arbeiter. Sie haben also gemeinsame Interessen, die wiederum unvereinbar mit den Interessen der Kapitalistenklasse sind.

Arbeiter haben, egal ob männlich oder weiblich, im Kapitalismus keine Rechte, denn diese sind abhängig von den Besitzverhältnissen. Nur wer Geld hat, hat Rechte. Die Forderung nach kompletten Rechten für die Frau ist also unsinnig, solange sie in einem kapitalistischen System gefordert wird. Erst im Sozialismus werden die Menschen zu ihren vollen Rechten gelangen.

Auf dem Weg dorthin werden die Frauen an den diskriminierenden Vorurteilen rütteln, die aus der monogamen Ehe hervorgegangen sind und von der Kapitalistenklasse gefördert werden. Wie genau schaffen sie das? Ganz einfach indem sie Seite an Seite in den sozialistischen Organisationen mit ihren männlichen Leidensgenossen kämpfen; indem sie von ihren Waffenbrüdern nicht weniger fordern als den vollen Katalog an gleichen Rechten und Pflichten, gleicher Solidarität und Verantwortung, gleichen Gewinnen und Opfern.

Die wirkliche Befreiung der Frau im Sozialismus hat zwei Vorbedingungen. Erstens müssen alle arbeitsfähigen Frauen Teil der öffentlichen Industrie werden. Zweitens muss die Einzelfamilie als wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft beseitigt werden. Dies wird im Sozialismus erreicht. Die ursprünglich häusliche Aufgabe der Kindererziehung wird nämlich zu einer öffentlichen. Sie ist nun die Aufgabe der Gesellschaft als Ganzes. Jedes Kind wird das gleiche Recht auf Erziehung und Versorgung haben.

Die bürgerliche Einzelehe ist außerdem der Grundstein der Prostitution. Erst dadurch, dass es Männern de facto erlaubt war, fremdzugehen, entstand eine Nachfrage nach Prostitution, die von Frauen in wirtschaftlich prekären Lebensverhältnissen bedient wird. Wenn die bürgerliche Doppelmoral und die prekären Lebensverhältnisse der Proletarierinnen verschwinden, wird auch die Prostitution überwiegend verschwinden. Es ist auch nicht so, dass die bürgerlichen Frauen nicht von den Seitensprüngen ihrer Männer wussten. Sie waren aber kaum imstande, etwas dagegen zu unternehmen, da sie von ihren Männern wirtschaftlich abhängig waren. Erst mit einer vollständigen wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Geschlechter (also im Sozialismus) kann es echte Liebesehen geben. Diese sozialistische Liebesehe besteht aus zwei gleichberechtigten Partnern und zeichnet sich dadurch aus, dass sie von beiden Seiten sehr einfach wieder geschieden werden kann. Denn wieso sollte eine Ehe nicht geschieden werden, falls es ihr irgendwann an Liebe mangelt?

II. Drittweltistische Theorie

Die Welt bietet uns kein einheitliches Bild bezüglich der Lage der Frau. Die erste Unterscheidung, die wir machen müssen, ist die zwischen der sogenannten Ersten und der sogenannten Dritten Welt. Die Dritte Welt wird durch die imperialistischen Mächte ausgebeutet. Die Bevölkerung des imperialistischen Kerns (das sind die reichen, westlichen Länder, welche die Welt wirtschaftlich und militärisch dominieren) wird ruhiggestellt. Dies macht sich auch in Bezug auf die Lage der Frau bemerkbar. Die LLCO schrieb dazu in einem Artikel:

„In der Ersten Welt wird das Geschlecht immer weniger mit der Biologie verbunden. Aufgrund des hohen Lebensstandards, welcher durch den Imperialismus und die fortgeschrittene Technologie ermöglicht wurde, sind die Frauen der Ersten Welt immer weniger auf ihre traditionelle gesellschaftliche und reproduktive Rolle beschränkt. Frauen in der Ersten Welt sind nicht mehr in der Küche gefangen, barfuß und schwanger. Sie stehen vor einer großen Auswahl von Optionen, wie sie ihr Leben gestalten wollen, und sie sind nicht mehr strikt auf die Reproduktionstätigkeit beschränkt. Aus diesem Grund sollten Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen der Ersten Welt nicht mit der traditionellen patriarchalischen Unterdrückung verwechselt werden, welche sich auf die Biologie und Reproduktion konzentriert. Vielmehr müssen die übriggebliebenen Ungleichheiten als bloßer Nachhall der traditionellen patriarchalischen Unterdrückung betrachtet werden. Es ist wahrscheinlich, dass dieses Echo der traditionellen Unterdrückung mit der Zeit in der Ersten Welt immer weniger deutlich bemerkbar wird.

[…]

Das Ende der traditionellen patriarchalischen Unterdrückung der meisten Frauen in der Ersten Welt wurde durch die enorme Anhäufung von Reichtum ermöglicht, welche der Imperialismus für die Erste Welt auf Kosten der Dritten Welt erzeugt hat. Die Frauen der Ersten Welt haben die Möglichkeit erhalten, in die Wirtschaft einzusteigen und Superlöhne zu verdienen. Das gibt den Frauen der Ersten Welt die Gelegenheit, aus der traditionellen Rolle zu schlüpfen, in der das Überleben der Frau von ihrem Mann als Brotverdiener abhängig ist. Die Frauen der Ersten Welt haben die Möglichkeit, unabhängig zu leben, ohne einen männlichen Partner. Folglich sind die Frauen der Ersten Welt frei von der traditionellen Unterdrückung, die mit ihrer Rolle in der Reproduktion d.h. mit der Mutterschaft verbunden ist. Sie sind ebenso frei von den traditionellen männerzentrierten Vorstellungen der Sexualität. Die Frauen der Ersten Welt stehen vor einer größeren Auswahl von Optionen, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Es steht ihnen offen, an der Seite der Männer der Ersten Welt ausbeuterische Superlöhne zu verdienen. Den Frauen der Ersten Welt steht es offen, an der Beute des Imperialismus auf einer immer größeren Stufe mit den Männern der Ersten Welt teilzuhaben.“

Der imperialistische Kern soll von einer Revolution abgehalten werden, indem er mit sicheren Lebensverhältnissen und allerlei Annehmlichkeiten bestochen wird. Ein großer Teil der Ausbeutung wird in die Dritte Welt verlagert. Deswegen ist es auch nicht nötig, sexistische Narrative zu erhalten, die eine Senkung des Lohns von Arbeiterinnen unter das männliche Niveau rechtfertigen. Ganz dem Selbstverständnis eines idealen liberalen Staats zufolge, sollen Frauen dieselbe soziale Mobilität genießen wie Männer. Es stimmt also, dass die Unterdrückung nicht mehr von den ökonomischen Aspekte der Reproduktion bestimmt wird. Wenn wir der Theorie von Friedrich Engels folgen, dann erkennen wir, dass die ökonomische Angleichung der Geschlechter in der Ersten Welt zu einem allmählichen Wegfall der geschlechtsbasierten Unterdrückung geführt hat. Frauen sind nicht mehr von Männern abhängig. Was übrig ist, sind die Rückstände der patriarchalischen Gesellschaft. Das soll natürlich nicht heißen, dass Frauen in der Ersten Welt echte Gleichberechtigung erfahren. Aber die Bestechung der Arbeiter der Ersten Welt durch die imperialistischen Mächte hat zur Folge, dass die Unterdrückung weniger stark ausgeprägt und anders ist. Und obwohl die patriarchalische Unterdrückung von Frauen über die Zeit weniger stark ausgeprägt werden könnte, wird sie im Kapitalismus niemals vollständig verschwinden, nicht einmal im reichen Westen. Sie wird in einer kommerzialisierten Form, neben neuen Formen der Unterdrückung, weiterbestehen.

Wie sieht es nun in der Dritten Welt aus? Im selben Artikel heißt es dazu weiter:

„Die zunehmende Gleichheit der Geschlechter in der Ersten Welt ist ein Ergebnis der kapitalistisch-imperialistischen Weltordnung. Ein wichtiger Faktor, um die globale Ordnung der Unterdrückung aufrechtzuerhalten, ist die Verschmelzung von verschiedenen Aspekten des Feudalismus und Kapitalismus in weiten Teilen der Dritten Welt. Die Frauen der Dritten Welt gehören zu den größten Opfern des kapitalistisch-imperialistischen Systems. In agrarischen Gesellschaften werden sie häufig in der traditionellen feudalen Unterdrückung gefangen gehalten. In den industrialisierten Gebieten aber werden sie am stärksten ausgebeutet; sie müssen länger und für tiefere Löhne arbeiten als ihre männlichen Gegenstücke. In zunehmendem Maße werden sie versklavt, oftmals von der globalen Sexindustrie. Die Situation der Frauen der Dritten Welt ist unter anderem eine wichtige Funktion der Unterdrückung ihres Geschlechts. Die Unterdrückung der Frau in der Dritten Welt hilft dem imperialistischen System, Reichtum von der Dritten in die Erste Welt fließen zu lassen. Die Unterdrückung der Frau in der Dritten Welt stützt die Gleichstellung der Frau in der Ersten Welt.“

Diese Analyse steht wieder ganz im Einklang mit Engels Theorie. Die Dritte Welt wird bewusst unterentwickelt gehalten. Sie hat keine hochentwickelten Industrienationen. Es gibt industrialisierte Gebiete, in denen zwar die Unterdrückung der Frau geringer ist, da sie Teil der Arbeiterschaft sind. Trotzdem werden sie zum Zweck der Profitmaximierung schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Sie leiden selbstverständlich auch immer noch unter dem Nachhall der patriarchalischen Unterdrückung; und zwar wesentlich deutlicher als Frauen in der Ersten Welt. In ländlichen Gebieten ist die Frau hingegen noch oft ins Häusliche verbannt. Dort nimmt ihre Unterdrückung die Form der Entrechtung durch den Mann an, wie wir sie von der vorkapitalistischen Produktionsweise gewohnt sind. In beiden Fällen ist die Lage der Frau in der Dritten Welt objektiv schlechter als in der Ersten.

III. Imperialistische Lügen

Wir verfügen jetzt über alle theoretischen Werkzeuge, die nötig sind, um die Lage der Frau auf der Grundlage der ökonomischen Verhältnisse zu analysieren. Eine korrekte Analyse wird immer zu dem Schluss kommen, dass es der Kapitalismus ist, der einer echten Gleichberechtigung der Frau im Weg steht. Diese Wahrheit gilt für alle Frauen auf der Erde, egal ob sie in der Ersten oder in der Dritten Welt leben. Ein allgemeines Verständnis dieses Fakts würde eine echte Gefahr für das kapitalistische System darstellen. Die Kapitalisten wenden daher viel Mühe auf, um die Realität über die Klassenbeziehungen zu verwischen. Sie wollen verheimlichen, dass der Kapitalismus das echte Problem ist, indem sie neue Schuldige ausmachen. Dies geschieht nicht nur mit Sexismus, sondern auch mit Rassismus.

Ein historisches Beispiel dieser Praxis ereignete sich während des Kalten Krieges, als die CIA veruschte, die westliche Linke zu schwächen. Damals gab es im Westen viel mehr Sozialisten, die außerdem mit der Sowjetunion sympathisierten. Über verschiedene Institutionen, wie den Kongress für kulturelle Freiheit, förderte die CIA gezielt linke Künstler und Intellektuelle, die eine „alternative Sichtweise“ auf die Politik boten. Diese, häufig trotzkistisch beeinflusste, Sichtweise war äußerst kritisch gegenüber der Sowjetunion, verschleierte den Klassencharakter politischer Ereignisse und machte viele linke Bewegungen letztlich handzahm. Das ist aber nur eines von vielen Beispielen dafür, wie Geheimdienste versuchten, den Diskurs progressiver Organisationen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Mehr zu diesem Thema kann man im LLCO-Artikel Vulgären Drittweltismus (Third Worldism) umstürzen: Ein Praktischer Internationalistischer Ansatz zur Revolution nachlesen.

Welche Auswirkungen hatten diese Operationen nun auf die Frauenbewegung? Ganz einfach: Das „alternative“ Narrativ besagt nun nicht mehr, dass der Kapitalismus gestürzt werden muss, um eine echte Gleichberechtigung der Frau zu erreichen, sondern dass Männer allein der Grund für die Unterdrückung der Frau seien. Deshalb könnten sich auch alle Frauen auf der Grundlage ihrer Weiblichkeit zusammenschließen, um gegen dieses eigentliche Übel vorzugehen. Effektiv bewirkt dies nur, dass die Ausgebeuteten gespalten werden, und ermutigt proletarische Frauen sich mit Kapitalistinnen zu verbünden. Die Kapitalisten hetzen die Werktätigen gegeneinander auf, während sie weiterhin ihre Profite machen, ohne dass jemand nur auf die Idee kommt, ihre Privilegien anzurühren.

Dieses Narrativ ignoriert außerdem vollkommen den Fakt, dass bourgeoise Frauen in der Ersten Welt von der Ausbeutung der Frauen in der Dritten Welt profitieren. Obwohl es schwer ist, herauszufinden, wer die Besitzer von Porno-Unternehmen sind, gibt es wahrscheinlich nicht allzu wenige Frauen in dieser Branche, die auf der Seite der Ausbeuter stehen. Man denke zum Beispiel nur an Christie Hefner, die das Unternehmen Playboy Enterprises leitet. Auch jene, die „selbstständig arbeiten“, erhalten ihr Geld über die sexuelle Ausbeutung und Kommodifizierung von Frauen in der Dritten Welt und anderer unterdrückter, marginalisierter Frauen. Ihre reichen Kunden (reich genug, um für Pornografie Geld auszugeben) verdienen ihre Superlöhne nämlich auch nur wegen jener Ausbeutung. Des Weiteren kommen den Menschen der Ersten Welt die Profite der Pornoseiten über das soziale Sicherungssystem der imperialistischen Länder indirekt in Form von Steuergeldern zugute.

Zu allem Überfluss wird die westliche Sex-Industrie häufig noch als Mittel zur Ermächtigung der Frau gefeiert – eine weitere Ansicht, die der degenerierten Pseudo-Linken entspringt. Durch diese Industrie, so wird behauptet, könnten Frauen ganz „unabhängig“ von Männern und „selbstbestimmt“ mit ihrem Körper Geld verdienen. Diese Einstellung ignoriert einfach den Fakt, dass viele dieser Frauen durch finanzielle Not in diese Branche abgerutscht sind. Sie ignoriert außerdem, dass das sexistische Frauenbild, das wir versuchen sollten, loszuwerden, dadurch aufrechterhalten wird; die erniedrigenden Stereotypen werden verstärkt, kommerzialisiert und letztlich legitimiert. Sie ignoriert des Weiteren, dass die Profite der westlichen Frauen meistens in der Dritten Welt generiert werden, wo die Frauen von dieser neuen Art der „Ermächtigung“ nicht viel zu spüren bekommen!

Bürgerlicher Feminismus – so kann man diese ganzen irregeleiteten Ideen zusammenfassen, die den Klassencharakter von weiblicher Ausbeutung vergessen – ist eine Sackgasse. Frauen in der Dritten Welt werden durch ihn entmachtet, da er sie entmutigt, Seite an Seite mit ihren männlichen Kollegen gegen das eigentliche Problem des Kapitalismus vorzugehen. Auch die Frauen in der Ersten Welt werden niemals echte Gleichberechtigung erreichen, wenn sie weiter an den bürgerlichen Narrativen festhalten. Wir müssen dennoch den Fakt anerkennen, dass Frauen im imperialistischen Kern ein kurzfristiges materielles Interesse an der Ausbeutung der Frauen im Globalen Süden haben. Denn wie bereits gesagt, finanziert diese Ausbeutung einen dekadenten westlichen Lebensstil.

IV. Frauen in der Ersten Welt und Sozialismus

Die LLCO hat in ihrem Artikel Vulgären Drittweltismus (Third Worldism) umstürzen: Ein Praktischer Internationalistischer Ansatz zur Revolution bereits dargestellt, dass Menschen im Globalen Norden zwei Arten von Interessen haben. Auf der einen Seite stehen ihre kurzfristigen Interessen: Sie wollen ihren angenehmen Lebensstil und ihre soziale Sicherheit aufrecht erhalten, auch wenn das bedeutet, dass in anderen Ländern die Menschen im Elend leben müssen und das kapitalistische System weiterhin mit erschreckender Geschwindigkeit unseren Planeten zerstören kann (westliche Propaganda spielt selbstverständlich auch eine große Rolle dabei, dass die Menschen im Westen den Kapitalismus als alternativlos betrachten). Auf der anderen Seite stehen hingegen ihre Langzeitinteressen: Sie wollen echte Freiheit genießen, die sie nicht haben können, solange ein ineffizientes kapitalistisches System sie in einem Beruf gefangen hält, den sie häufig nicht mögen und der die Profitmaximierung vor das Wohl der Menschen stellt. Daher wollen sie dem Hamsterrad aus immer neuen Problemen entkommen. Sie wollen außerdem nicht, dass unser Planet für ihre Kinder unbewohnbar wird. Sie sind von Natur aus empathisch und würden es gutheißen, wenn alle Menschen gleichberechtigt auf dieser Erde leben könnten, ohne dass einer den anderen ausbeuten muss.

Auf dieselbe Weise haben Frauen in der Ersten Welt kurzfristige und langfristige Interessen in Bezug auf ihre Situation. Ihre kurzfristigen Interessen stimmen mit denen ihrer männlichen Mitmenschen überein: soziale Sicherheit und Konsum. Langfristig haben die Frauen aber ein Interesse daran, das Joch des Kapitalismus zu überwinden. Wie schwer dieses überhaupt wiegt, soll kurz einmal dargestellt werden.

Wie bereits erwähnt, nimmt die Unterdrückung der Frauen des imperialistischen Kerns zwei Formen an. Es gibt Rückstände der patriarchalischen Unterdrückung, die erfolgreich kommerzialisiert wurden. Außerdem gibt es neue Formen der Unterdrückung, die geschaffen wurden, um Profite zu machen. Unter Letzteren leiden nicht nur Frauen in der Ersten Welt aber sie nehmen spezifische Ausprägungen an. Des Weiteren können wir beide Formen nicht immer scharf voneinander abgrenzen. Wir werden uns zunächst die neuen Formen ansehen.

Der Kapitalismus muss ständig neue Profite generieren, wenn er überleben will. Das ist im Westen gar nicht einmal so einfach, denn alles, was die Menschen zum Leben brauchen, kann mithilfe moderner Maschinen extrem effizient hergestellt werden. Deswegen erzeugt der Kapitalismus künstlich Bedürfnisse bzw. künstliche Bedürfnisse, um mehr Profit generieren zu können. Im Fall von Frauen bedeutet dies, dass sie von Kindesbeinen an mit lächerlichen Schönheitsidealen bombardiert werden, zu deren Erreichung sie Unmengen an Geld ausgeben müssen, z.B. in Form von Schminke, teurer Kleidung, Fitnessnahrung etc. Der so entstehende soziale Druck hat bereits das Leben von vielen Menschen ruiniert. Der Westen hat nicht ohne Grund ein riesiges Problem mit Depression, Magersucht und anderen ernsten, psychischen Erkrankungen. Unter solchen Umständen brauchen wir uns nicht wundern, dass trotz aller „zivilisatorischer Errungenschaften“ noch immer so unrealistische und oberflächliche Erwartungen an Frauen unter Männern in der Ersten Welt vorherrschen.

Ab hier kommen die Rückstände der patriarchalischen Unterdrückung ins Spiel, die erfolgreich kommerzialisiert wurden. Es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass Frauen an öffentlichen Orten und im Internet belästigt, beschimpft, bedroht oder tätlich angegriffen werden. Diese Art des Umgangs mit Frauen lässt sich gut kommerzialisieren, da das Stereotyp vom starken Mann und der unterwürfigen Frau sehr anziehend auf Männer wirkt, die sonst kaum Kontrolle über ihr Leben ausüben können, weil sie die entfremdeten Lohnsklaven irgendeines undankbaren Kapitalisten sind. Die Kommerzialisierung geschieht in Form von Pornografie oder Erzeugnissen der Popkultur, wie Musikvideos. Aber wir finden sie in subtilerer Form auch in den Werken von populären Pseudo-Intellektuellen, wie Jordan Peterson, vor. Natürlich wäre es für Männer viel schlauer, die Kapitalisten für ihre Entfremdung verantwortlich zu machen, anstatt sich an Frauen zu vergehen. Hieran erkenn wir, dass die Aufrechterhaltung der patriarchalischen Unterdrückung auch eine politische Funktion hat. Sie sorgt dafür, dass männliche Arbeiter ihre berechtigte Frustration umlenken und sie gegen Menschen ihrer eigenen Klasse richten.

Eine weitere neue Form der Unterdrückung sieht so aus: Frauen und Männern wird gleichermaßen erzählt, dass sie einen Partner oder eine Partnerin finden können, wenn sie eine gewisse kommodifizierte Identität nach außen präsentieren. Diese sorgsam geschaffenen Identitäten können auf Markenkleidung, einem spannenden Partyleben, einem schickes Auto oder einer großen Wohnung basieren (die Liste lässt sich unendlich fortsetzen). Die meisten von uns wissen wahrscheinlich auch von der Kommerzialisierung der Liebe an Valentinstag. Der Punkt ist, dass Männer und Frauen Geld ausgeben sollen, um sich in dieser Welt als wertvolle Menschen profilieren zu dürfen. Das ist im Wesentlichen die Grundlage von sozialen Medien und Dating-Plattformen. Wer dort Aufmerksamkeit haben möchte, muss zeigen, was er hat. Plattformen, wie Tinder oder OkCupid, haben übrigens kein materielles Interesse daran, ihren Nutzern eine Beziehung zu verschaffen. Denn täten sie dies, hätten sie irgendwann keine Nutzer mehr, die ihre Premium-Dienste kaufen und wertvolle Nutzerdaten auf der Webseite lassen. In einem System, in dem der Wert eines Menschen durch seine Besitztümer definiert wird, ist es kein Wunder, dass Frauen häufig noch immer wie Objekte behandelt werden, auch auf dem „Höhepunkt der Zivilisation“, für den sich der Westen hält. Hier befinden wir uns im Übrigen genau im Grenzbereich zwischen ‚kommerzialisierter alter‘ und ‚kommerzieller neuer‘ Unterdrückung.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Kapitalismus fördert ein extrem ungesundes Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Die Gründe dafür sind vielseitig aber letztlich ist das Ziel, Profit zu generieren, die Schuld für die Probleme der Menschen vom System selbst abzulenken und die Realität der Klassenbeziehungen zu verwischen.

Kein Mann ist frei, bevor nicht alle Frauen frei sind. Glaubt an euer Potential und werdet zu eurem besten Selbst; glaubt nicht die Lügen des Kapitalismus!

Nachtrag 20.01.2022: Der obige Text wurde im 8. Absatz um folgende Sätze ergänzt: “Aber die Kapitalisten profitierten auch von Frauen, die zu Hause blieben. […] Dies war die ursprüngliche Motivation, die patriarchalischen Familienverhältnisse zu übernehmen.” Entsprechend wurde Faschismus und soziale Revolution, von Rajani Palme Dutt in die Liste der Quellen aufgenommen.

Quellen

Deutschlandfunk (14. April 2021). So wenig tut Pornhub gegen Missbrauch und Ausbeutung. Abgerufen von: https://www.deutschlandfunk.de/transparenzbericht-von-sex-portal-so-wenig-tut-pornhub.2907.de.html?dram:article_id=495687

Dutt, Rajani Palme (1972) [1934]. Faschismus und soziale Revolution. Frankfurt: Materialismus.

Engels, Friedrich (Oktober 1884). Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates. Abgerufen von: http://www.mlwerke.de/me/me21/me21_025.htm

LLCO (17. Januar 2018). Female Chauvinist Pigs: Women and the Rise of Raunch Culture. Abgerufen von: https://llco.org/female-chauvinist-pigs-women-and-the-rise-of-raunch-culture/

LLCO (18. November 2016). Zur Geschlechterfrage. Abgerufen von: http://deutsch.llco.org/zur-geschlechterfrage/

Pobedy, Medved (7. September 2020). Vulgären Drittweltismus (Third Worldism) umstürzen: Ein Praktischer Internationalistischer Ansatz zur Revolution. Abgerufen von: http://deutsch.llco.org/vulgaren-dritte-weltismus-third-worldism-umsturzen-ein-praktischer-internationalistischer-ansatz-zur-revolution/

Saunders, Frances Stonor (2000). The Cultural Cold War: The CIA and the World of Arts and Letters.

TNW News (3. März 2016). The (almost) invisible men and women behind the world’s largest porn sites. Abgerufen von: https://thenextweb.com/news/the-almost-invisible-men-and-women-behind-the-worlds-largest-porn-sites

Venkataraman, Vivek (21. März 2021). Ancient Men were Hunters and Women were Gatherers. Right? Wrong. Abgerufen von: https://janataweekly.org/ancient-men-were-hunters-and-women-were-gatherers-right-wrong/

YUGOPNIK (29. November 2020). Capitalism is ruining your love life: The Commodification of Love, Romance, and the Family (Video). Abgerufen von: https://www.youtube.com/watch?v=_iLnZ4HCrfo&list=WL&index=9&ab_channel=YUGOPNIK

Zetkin, Clara (19. Juli 1889). Für die Befreiung der Frau! Rede auf dem Internationalen Arbeiterkongress zu Paris. Abgehalten vom 14. bis 20. Juli 1889. Abgerufen von: https://www.projekt-gutenberg.org/zetkin/essays/chap002.html

Dargestelltes Bild: „Frauen dieser Welt, vereint euch im Kampf für Frieden, für Leben, für Glück!“ Sowjetisches Plakat, 1952.

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