Neubetrachtung von Mehrwert und Ausbeutung
Prairie Fire
11 Juni 2010
LLCO.org
Als 1883 ihr Vater starb, schrieb Eleanor Marx einen Artikel, in dem sie die Errungenschaften ihres Vaters lobte. Die größte Errungenschaft war „seine Werttheorie, womit Marx den Ursprung und die fortwährende Akkumulation des Kapitals in den Händen einer dadurch privilegierten Klasse erklärte.“ (1) Was zum Zeitpunkt seines Todes noch als wichtig empfunden wurde, ist, über ein Jahrhundert später, von der Mehrheit derjenigen, die sich „Marxisten“ schimpfen, unter den Tisch gewischt worden. Die sogenannten Marxisten von heute vergessen nur zu gerne die wahre Werttheorie von Marx aufgrund der beschämenden Tatsache, dass sie beim Wort genommen, die meisten Arbeiter der Ersten Welt vom Ausgebeutetsein ausschließen würde. Sie würde diese Arbeiter nicht zum Proletariat, zur revolutionären Klasse dazuzählen. Es ist das Merkmal einer wissenschaftlichen Theorie, dass sie einen höheren Grad an Aussagekraft und Vorhersagefähigkeit besitzt als ihre Konkurrenz. Ob die Werttheorie von Marx wirklich die wissenschaftlichste Theorie ist, die heutzutage existiert, bleibt noch offen. Nichtsdestotrotz ist Marx’ tatsächliche Theorie in ihrer besten Version bei weitem wissenschaftlicher als jede dieser verzerrten „marxistischen“ Theorien, welche von den Erstweltlern so gerne vorgebracht werden. Nicht nur gibt uns Marx’ Theorie die Hilfsmittel und die Sprache, um den Aufstieg der “Kaufhausökonomie” der Vereinigten Staaten und der anderen Länder der Ersten Welt nachzuvollziehen, sie hilft uns auch, den Mangel an revolutionärem Bewusstsein in der großen Mehrheit der Bevölkerung der Ersten Welt vorauszusagen und zu erklären. Marx’ Werttheorie ist die Astronomie im Vergleich zur Astrologie der Scharlatanen der Ersten Welt.
Eleanor Marx beschreibt den Ursprung des Mehrwerts unter dem Kapitalismus folgendermaßen:
„Die Summe, die in die Tasche des Kapitalisten fließt, nennt Marx den Mehrwert. Er besteht nicht nur aus dem Profit, schließt aber den Profit des Arbeitgebers mit ein. Er muss ihn nämlich mit Anderen teilen: mit der Regierung in Form von Steuern und Abgaben, mit dem Vermieter in Form der Miete, mit dem Händler etc… Folglich, alle Klassen, die nicht aus den eigentlichen und unmittelbaren Produzenten des Wohlstands bestehen… Alle Klassen, vom König und der Königin bis zum Meistermusikanten und Gemüsehändler, leben vom ihrem entsprechenden Anteil dieses Mehrwerts. Mit anderen Worten, sie leben aus dem Produktionsnetz der Mehrarbeit, welche der Kapitalist aus seinen Lohnarbeitern quetscht, sie aber nicht dafür bezahlt. Es macht keinen Unterschied, ob der Anteil an Mehrarbeit, welcher jedem Mitglied der Gesellschaft zukommt, die nicht selber Produzenten sind, ihnen per Parlamentsbeschluss aus den Staatseinnahmen geschenkt wird, oder ob er durch die Ausübung irgendeiner Funktion, die nicht produktiv ist, verdient werden muss. Es gibt keinen anderen Fonds, aus dem sie bezahlt werden können, als die Endsumme des Mehrwerts, der von den unmittelbaren Produzenten geschaffen wird und für welche sie nicht bezahlt werden.“ (2)
Gemäß beiden, Karl und Eleanor Marx, hat das Kapital, das die Gesellschaft am Laufen hält, nur einen einzigen Ursprung, nämlich den „unmittelbaren Produzenten des Wohlstands“. Im England der Tage von Marx bestand wohl der Großteil dieser Klasse aus industriellen Lohnarbeitern – dies schließt Arbeiter aus der industriellen Landwirtschaft mit ein, seitdem die kleinbäuerlichen Selbstversorger von der Bildfläche verschwunden sind. Marx prophezeite, dass diese Tendenz, die er in Westeuropa beobachtete, global auftreten würde. Er dachte, dass die Gesellschaft in zwei große, gegensätzliche Klassen aufgeteilt werden wird, in die industriellen Kapitalisten und in ihre Arbeiter. Folglich werden mit dem Fortschreiten des Kapitalismus die unmittelbaren Produzenten von den Industriearbeitern repräsentiert. Er betrachtete die industrielle Arbeiterklasse als das Proletariat, als die revolutionären Akteure. Marx meinte, die Konkurrenz und der Entwicklungsstand würden sich zwischen den Ländern ausgleichen. Die Revolution wäre eine Sache à la „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!“. Die Dinge haben sich aber nicht so entwickelt, wie Marx es prophezeit hat.
Man muss sich klar sein, dass viele von Marx’ Schlussfolgerungen zustande gekommen sind, weil er sie aus abstrakten Modellen abgleitet hat, so wie das auch heute noch von Ökonomen gemacht wird. Das und ein gutes Stück Teleologie haben seine Ansichten beeinflusst. Die Realität ist allerdings komplexer. Die globale Gesellschaft hat sich nicht genau so entwickelt und polarisiert, wie es Marx prophezeit hat. Stattdessen existieren um den Globus herum verschiedene Formen der Zusammensetzung der Klassengesellschaft. In manchen Ländern gibt es nur noch wenige unmittelbare Produzenten. Das wäre in den “Kaufhausökonomien” der Ersten Welt der Fall. Fabriken dominieren nicht mehr länger das Leben der Menschen der Ersten Welt. Nur ein kleiner Teil der Menschen in der Ersten Welt arbeitet noch in einer Fabrik. Eine weitaus größere Zahl ist im Management, im Dienstleistungssektor etc. angestellt. Um es mit Marxschen Worten auszudrücken, kann das als eine Abnahme des Bevölkerungsanteils, welcher im produktiven Arbeitssektor beschäftigt ist, bezeichnet werden, d.h. in dem Arbeitssektor, in welchem dem totalen Gesellschaftsprodukt etwas hinzufügt wird. Viele Volkswirtschaften der Ersten Welt können als überdimensionierte Kaufhäuser betrachtet werden. Nichts oder nur ganz wenig wird in einem Kaufhaus produziert. Dennoch gibt es dort Leute, die sich darum kümmern, die Güter zu managen, zu transportieren, herbeizuschaffen etc., Güter, die anderswo hergestellt worden sind und nun im Kaufhaus verkauft werden. Es ist dieser Zustrom von Gütern von außerhalb, welcher das Kaufhaus am Laufen hält. Die Produktion der Güter vollzieht sich aber eben außerhalb des Kaufhauses, in der Dritten Welt. Es war die Beseitigung der unmittelbaren Produktion, und damit die Zerstörung des revolutionären Bewusstseins, welche Friedrich Engels dazu brachte, über die Verbürgerlichung der englischen Arbeiterklasse auf dem Rücken von Indien und der Welt zu schreiben. Über die englischen Arbeiter schreibt Engels: „Die Arbeiter nehmen fröhlich Anteil am Festschmaus des englischen Monopols in den Kolonien und auf dem Weltmarkt.“ Auch wenn Marx mit der einheitlichen Entwicklung und einer Polarisation der Klassen vielleicht falsch gelegen hat, so behält seine Werttheorie auch in der heutigen Welt noch seine Gültigkeit.
Die Weltwirtschaft besteht aus einer zusammenhängenden Kette von ökonomischen Wechselwirkungen. Für jeden Gebrauchsgegenstand gibt es einen bestimmten Punkt, wo er hergestellt wird. Bevor der Gebrauchsgegenstand letztlich den Kreislauf verlässt, kann er noch mehrere Male ausgetauscht werden. Nehmen wir an, der Gegenstand wird am Ort A hergestellt. Dann wird er von einem Zwischenhandelsunternehmen gekauft, transportiert und weiterverkauft am Ort C. Nachdem er im Laden verkauft worden ist, verlässt er den Kreislauf. Diese Kette kann folgendermaßen dargestellt werden:
A->B->C
Auf jedem Zwischenstopp der Reise des Gebrauchsgegenstands kann ein Profit ergattert werden. Nehmen wir an, das Profit erzielt wird, wenn der Gegenstand aus der Fabrik A an einen Zwischenhändler B verkauft wird. Ebenfalls wird Profit erwirtschaftet, wenn das Zwischenhandelsunternehmen B ihn an den Discounter C verkauft. Und nochmals gibt es einen Profit, wenn der Discounter C den Gebrauchsgegenstand an den Konsumenten weiterverkauft. Obwohl an jedem Punkt im Kreislauf der Kette Profit gemacht wird, kann Mehrwert nur vom tatsächlichen Produzenten erzeugt werden. Obwohl auch vom Zwischenhändler und dem Verteiler Profit erwirtschaftet wird, wird dieser Profit weder von den Angestellten von Zwischenhändler B noch von den Angestellten vom Discounter C erzeugt. Dies bringt Marx zur Überzeugung, dass ein Kaufmann nicht durch die Ausbeutung seiner Angestellten reich wird:
„Aber es muss zwischen ihm und den direkt vom industriellen Kapital beschäftigten Arbeitern derselbe Unterschied stattfinden, der zwischen dem industriellen Kapital und dem Handelskapital und daher zwischen dem industriellen Kapitalisten und dem Kaufmann stattfindet. Da der Kaufmann als bloßer Zirkulationsagent weder Wert noch Mehrwert produziert…so können auch die von ihm in denselben Funktionen beschäftigten merkantilen Arbeiter unmöglich unmittelbar Mehrwert für ihn schaffen…mit andren Worten, dass er sich nicht bereichert, indem er seine Kommis [kaufmännische Angestellte] etc. prellt.“ (3)
Wenn Marx hier konsequent wäre, könnte er diesen Punkt über weitere Bereiche ausdehnen. Es gibt keinen Grund, weshalb man Marx’ Punkt über die kaufmännischen Angestellten nicht auf alle übertragen kann, die außerhalb der Produktion beschäftigt sind. Selbst Marx ist nicht immer deutlich, manchmal sogar widersprüchlich; man darf deshalb diese Verallgemeinerung machen, damit sie mit der Arbeitswerttheorie übereinstimmt. Die unmittelbare Produktion ist der Ursprung des Mehrwerts und die ursprüngliche Quelle jeglichen Profits im Paradigma der marxistischen Arbeitswerttheorie. Folglich hat, so wie es Eleanor Marx darstellt, der Mehrwert, von dem sich alle Klassen bedienen, seinen Ursprung in der unmittelbaren Produktion. Das gilt nicht nur für die herkömmlich herrschende Klasse, sondern auch für all jene, die Angestellte, aber nicht unmittelbare Produzenten oder Teil der unmittelbaren Produktion sind. Diese Arbeiter helfen vielleicht dabei, den Mehrwert zu realisieren, aber sie tun dies nicht auf dieselbe Weise wie der unmittelbare Produzent. Eine Bank erzeugt ihren Profit nicht, indem sie ihn aus ihren Bankangestellten herausquetscht. Die Bank bezieht ihren Profit, indem sie sich einen Anteil aus dem totalen Sozialprodukt nimmt, welcher von den unmittelbaren Produzenten erzeugt wurde. Die Banken beziehen ihren Anteil durch Investitionen und Finanzmanipulationen, aber der Ursprung des Mehrwerts liegt in der unmittelbaren Produktion. Dasselbe gilt für Supermärkte. Es ist schließlich nicht so, als ob sie ihren Salat draußen auf dem Parkplatz anbauen würden. Die Elfen vom Weihnachtsmann schuften auch nicht im Hinterzimmer vom Toys “R” Us.
Aufgrund der enormen Produktionskapazität des Kapitalismus haben sich diese unproduktiven Sektoren in erheblichem Maße vergrößert. Diese unproduktiven Sektoren haben damit begonnen, ganze Volkswirtschaften der Ersten Welt zu dominieren. Walmart, zum Beispiel, ist der größte Arbeitgeber der USA, mit über einer Million Angestellten.(4) Die Gesamtbevölkerung der Vereinigten Staaten beträgt 309 Millionen Menschen. Von den 145 Millionen, die in den USA berufstätig sind (dazu zählen auch Schwarzarbeitende), sind gerade 26 Millionen in denjenigen Sektoren der Wirtschaft beschäftigt, welche lose (wir berufen uns schließlich auf die Daten des Bureau of Labor Statistics) mit der unmittelbaren Produktion verbunden sind.(5) Man beachte aber, dass viele der Angestellten in diesen Sektoren selber keine eigentlichen Produzenten sind. Viele in diesen Sektoren arbeiten im Management etc., auch wenn sie in den Wirtschaftssektoren der unmittelbaren Produktion beschäftigt sind. Schon die konservative Schätzung besagt, dass mindestens 10 bis 30 Prozent dieser Sektoren im wörtlichen und im übertragenen Sinn nicht als unmittelbare Produzenten betrachtet werden können. Nehmen wir mal großzügig an, dass 23.4 bis 18.2 Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten im weitesten Sinne zu den unmittelbaren Produzenten gezählt werden können. Im Gegensatz dazu sind 126.8 bis 121.6 Millionen in den USA berufstätig, aber nicht unmittelbare Produzenten.(6) Diese ungeheure Disparität ist der Grund, weshalb die Ökonomie der USA als Kaufhausökonomie bezeichnet werden kann. So groß die Produktivkraft auch sein mag, 23.4 bis 18.2 Millionen Menschen reichen nicht aus, um für die Gesamtheit der Einkommen von 145 Millionen Angestellten aufzukommen, plus für diejenigen, die selber nicht Angestellte sind, aber ein Einkommen beziehen, d.h. die Kapitalisten, das Kleinbürgertum, die Arbeitslosen, Sozialhilfebezüger, Rentner, Studenten etc. Man muss daher annehmen, dass der Mehrwert, durch den eine solche Disparität erlaubt wird, von außerhalb des „Kaufhauses“ stammen muss, aus der Dritten Welt. Es ist selbstverständlich kein Zufall, dass die Zunahme dieser Disparität in der USA mit ihrem Aufstieg als imperialistische Weltmacht nach dem Zweiten Weltkrieg und der Abnahme der Rivalität unter den imperialistischen Kräften zusammentrifft. Der Imperialismus beabsichtigt diese einseitige Entwicklung und wird fortfahren, sie zu erhalten. Das Ungleichgewicht der Produktion sowie das Ungleichgewicht in der Macht und im Reichtum nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Grund, den Lin Biao zur Bemerkung veranlasste, dass die Revolution in der Ersten Welt zum Stillstand gekommen, während sie in der Dritten Welt auf einer historischen Stufe am Explodieren sei.
„Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die proletarische revolutionäre Bewegung in den nordamerikanischen und westeuropäischen kapitalistischen Ländern aus verschiedenen Gründen vorläufig zum Stillstand gekommen, während die revolutionäre Volksbewegung in Asien, Afrika und Lateinamerika aufgeblüht ist.“ (7)
Eine weitere Annahme, die Marx gemacht hat, ist, dass die Einkommen der unmittelbaren Produzenten im Kapitalismus, welche für Marx hauptsächlich Industriearbeiter waren, auf das Existenzminimum oder darunter schrumpfen würden. Der Grund dafür war, dass, unter reinen Modellbedingungen, die Konkurrenz unter den Kapitalisten mit der Zeit eine Angleichung der Technologie zur Folge hätte. Dadurch bleibt für den Kapitalisten als einziger Weg, um den Profit noch zu steigern, die Senkung der Löhne. Marx glaubte derart an diese Unvermeidlichkeit im Kapitalismus, dass er den Wert der Arbeitskraft als das bloße Minimum dessen bestimmte, was es braucht, damit ein Arbeiter Tag für Tag seine Arbeit reproduzieren kann. Obwohl diese Verelendung der eigentlichen Produzenten heute noch immer in weiten Teilen der Dritten Welt vonstatten geht, charakterisiert das kaum irgendeinen Arbeiter in den USA, außer vielleicht einen vernachlässigbaren Schwarzarbeiter am äußersten Rande der Ökonomie. Häufig charakterisiert es nicht einmal die Situation eines amerikanischen Häftlings, welcher zur Produktion gezwungen wird. Sogar diejenigen, die in der Ersten Welt tatsächlich produzieren, haben einen großen Spielraum, wenn es um die Höhe ihrer Gehälter geht, jeder davon weit oberhalb dem eigentlichen Wert der Arbeitskraft, wie er von Marx bestimmt wurde. Dieses Einkommen und dieser Lebensstandard genügen, um sie grundsätzlich mit ihrem Los im System zufrieden zu stellen. Sie verbünden sich mit dem imperialistischen System. Auch wenn Marx mit den exakten Details zur Verelendung falsch lag; diese Betrachtung des Mehrwerts nimmt Rücksicht auf das, was man heutzutage sehen kann. Im Modell von Marx ist es möglich, den Mehrwert von einem unmittelbaren Produzenten auf einen Nichtproduzenten zu übertragen. Es ist ebenfalls möglich, den Mehrwert vom einen Produzenten auf den anderen zu übertragen. Mit anderen Worten, ist es möglich, dass die unmittelbaren Produzenten der Ersten Welt einen Teil vom Mehrwert aus der Dritten Welt nehmen. Selbst wenn ein tatsächlicher Produzent der Ersten Welt durch seine Arbeit etwas zum globalen Sozialprodukt beiträgt, nimmt er es zur selben Zeit wieder fort, auf dieselbe Weise wie es gewöhnliche Ausbeuter tun. Er kassiert einen Teil des Mehrwerts aus der Dritten Welt. Dies hebt jeglichen Wert, den er selber produziert, wieder auf. Dies macht ihn genauso zum Ausbeuter wie die Mitglieder jeder anderen ausbeuterischen Klasse.
Marx’ Werttheorie bietet schon die Voraussetzungen, um die gegenwärtige Realität erklären können. Die Behauptung der Erstweltler, dass, wenn der Profit durch ein bestimmtes Unternehmen erwirtschaftet wird, dass dann auch eine Ausbeutung der Arbeiter durch das Unternehmen entstehe, ergibt sich nicht aus der Werttheorie. Ein epistemologisches Problem taucht auf: Wie können wir wissen, ob ein Arbeiter ein Ausbeuter ist oder nicht? Weil Wert auf so unterschiedliche Weise von einer Person zur anderen übertragen werden kann, von einem Produzenten zum anderen, ist es notwenig, eine Vorgehensweise festzulegen, um auszumachen, wer ausgebeutet wird und wer nicht. Entweder ist es dabei nötig, einen bestimmten Wert für Arbeitskraft festzusetzen, oder man sucht einen anderen Weg, um Ausbeutung messbar zu machen. Heutzutage ist praktisch die ganze Weltwirtschaft in eine riesige, imperialistische Formation verwickelt. Die Produktion eines Gebrauchsgegenstands kann sich über mehrere Länder erstrecken. Es ist nichts Außergewöhnliches, dass verschiedene Produzenten, die durch große Distanzen getrennt sind, an der Fertigstellung eines Gebrauchgegenstands beteiligt sind. Die Aufrechterhaltung des Unterschieds zwischen der Arbeitskraft eines Produzenten der Ersten Welt und diejenige eines Produzenten der Dritten Welt ist reinster Chauvinismus, besonders da die Volkswirtschaften heutzutage derart globalisiert sind. Jeder Arbeiter überall auf der Welt sollte den Versuch wagen, dieses Problem zu lösen. Genosse „Serve the People“ hat eine Lösung für das Problem entwickelt, wie man eine grobe Schätzung für den Wert einer Arbeitskraft erstellen kann:
„Genosse Marx hat darauf hingewiesen, dass Arbeit die eigentliche Substanz des Werts bildet. Er sagte, dass der Wert eines Gebrauchsgegenstandes, durch die Anzahl der Stunden repräsentiert wird, die durchschnittlich für die gesellschaftlich notwenige abstrakte Arbeit notwendig sind, um diesen Gebrauchsgegenstand herzustellen, d.h. der Arbeitsaufwand für eine spezifische Art von Arbeit mit durchschnittlicher Produktivität und unter den gegebenen Arbeitsbedingungen. Demzufolge ist, wenn nach reinem Wert gehandelt wird, eine Stunde Arbeit, welche in die Ernte von Zuckerrüben investiert wird, austauschbar mit einer Stunde, die mit dem Zusammenbauen von Waschmaschinen verbracht wird (falls die Arbeit in beiden Fällen mit durchschnittlicher Produktivität verrichtet wird).
2002 betrug das nominelle Bruttoinlandprodukt der gesamten Welt 31.9 Billionen US-Dollar. Diese Angabe berücksichtigt alles, was während dem Zeitraum von einem Jahr auf der Welt produziert wurde, einschließlich Dienstleistungen (die oftmals überschätzt werden). Die Weltbevölkerung beträgt ungefähr 6.4 Milliarden Menschen. Angenommen, dass Zweidrittel davon Vollzeit arbeiten mit der in den U$A üblichen Arbeitszeit von 2’000 Stunden im Jahr, dann wäre der Wert der Durchschnittsarbeit 7’500 US-Dollar pro Jahr oder ungefähr 3.75 Dollar pro Stunde. (Es ist etwas höher, da die Weltbevölkerung im Jahr 2002 ein wenig tiefer war als heute.)
Anderswo habe ich Schätzungen der UN gesehen, in denen das nominelle BIP 2005 bei 36 Billionen lag. Das würde den Arbeitswert auf 8’400 US-Dollar pro Jahr und 4.20 US-Dollar pro Stunde setzen. Was ergibt sich nun daraus? In den U$A ist der Mindestlohn 5.15 US-Dollar pro Stunde, in manchen Staaten und Städten ist er sogar höher. Wenn die Durchschnittsarbeit 4.20 Dollar wert ist, dann werden sogar Leute, die für den Mindestlohn arbeiten, überbezahlt, durchschnittlich um ca. 23 %. Noch dazu beträgt der Durchschnittslohn in den U$A ungefähr 18 Dollar die Stunde, was mehr als das Vierfache des eigentlichen Arbeitswerts ausmacht.“ (8)
Schauen wir uns eine andere Lösung an. In der Beschreibung der Werttheorie ihres Vaters, behandelt Eleanor Marx auch die Verteilung des globalen Sozialprodukts im Kapitalismus. Die Werttheorie ihres Vaters impliziert, dass gewisse Verteilungen kapitalistisch, andere sozialistisch sein können. Eleanor charakterisiert die Gesellschaft ihrer Zeit als eine kapitalistische mit einer Verteilung, in welcher auch solche, die nichts zur globalen Gesellschaftsproduktion beitragen, einen Anteil davon bekommen können. Es ist sogar so, dass die Mehrheit der Anteile an der Mehrarbeit im Kapitalismus an Nichtproduzenten verschiedenster Couleur verteilt wird. Es ist ganz recht, diese Verteilung des Sozialprodukts an reaktionäre, nichtproduktive Klassen zu kritisieren. Allerdings muss jeder zeitgemäße Sozialismus die Verteilung nicht nur in die Richtung der Produzenten lenken, sondern auch zu den großen, bettelarmen, stagnierenden, arbeitslosen Bevölkerungsschichten der Dritten Welt. Die bettelarmen Arbeitslosen sind eine sehr bedeutsame, potentiell explosive Klasse, die in den Slums der Großstädte der Dritten Welt ihre eigene Klasse bilden. Hätte sich die Welt so polarisiert, wie Marx es sich vorgestellt hat, dann würde sich die sozialistische Verteilung auf die Produzenten konzentrieren, ein Beinaheausschluss der restlichen Bevölkerung würde Sinn machen. Die Welt von heute ist jedoch nicht mehr so, und so soll auch unser Sozialismus nicht sein. Das Problem ist, nach dem Modell von Marx, dass der von den Produzenten erzeugte Mehrwert auf einerseits Nichtproduzenten, andererseits auch auf andere Produzenten transferiert werden kann; man muss also eine Methode zur Bestimmung festlegen, wer ausgebeutet wird und wer nicht. Ich habe eine weitere mögliche Lösung zu diesem Problem entwickelt, die zwar von der marxschen Werttheorie Abstand nimmt, aber implizit in der Tradition der marxistischen Kritik am Imperialismus steht:
„Einige werden vielleicht einwenden, dass eine sozialistische Verteilung keine egalitäre Verteilung ist. Die sozialistische Verteilung ist vielmehr eine, in der Wohlstand verbreitet wird, allerdings nicht gleichmäßig, er kommt den Leuten und den Nationen zu, die auch wirklich Arbeit verrichten: Derjenige, der nicht arbeitet, soll auch nichts zu Essen kriegen. Während die Arbeitswerttheorie vielleicht nötig ist, um die Mechanismen der Ausbeutung zu erklären; das Prinzip der Verteilung, das damit verbunden ist, reicht nicht aus, um das Problem der Ungleichheit zwischen den Ländern aufzuheben, welches durch den Imperialismus verursacht wurde. Dieses Prinzip der Verteilung nennt das Problem der Unterentwicklung nicht beim Namen. Sicherlich sollten die Bevölkerungen in den am wenigsten entwickelten Teilen der Dritten Welt, welche vom Imperialismus in Unproduktivität gehalten werden, im globalen Sozialismus nicht länger in grässlichster Armut zurückgelassen werden. Ganze Nationen der Dritten Welt bestehen aus der „industriellen Reservearmee“ und sind im Moment nicht produktiv; sollten also Ressourcen und Entwicklung im Sozialismus nicht gerade deswegen zu jenen Bevölkerungen gelenkt werden? Gemäß den Demografen wird sehr bald, zum ersten Mal in der Geschichte, die Mehrheit der Weltbevölkerung in den Städten leben. Das neue „globale Dorf“ als Ausgangspunkt der globalen Volkskriege könnten dann ebenso gut die Ghettos der Megastädte der Dritten Welt sein. Diese Ghettos sind mehr eine Fäulnis als ein Standort der Produktion, was aber nur zeigt, wie es der Anarchie der Produktion im Kapitalismus misslang, diese größeren Segmente der menschlichen Population in den Produktionsprozess einzubringen. Es versteht sich von selbst, dass der Sozialismus zu diesen gewaltigen Populationen sprechen muss, welche innerhalb des nächsten Jahrhunderts die Soldaten der globalen Volkskriege sein werden.
Die Weltwirtschaft besitzt einen kausalen Zusammenhang, in dem Wert in unterschiedlichen Formen um den Globus von einer Person zur andern transferiert wird. Also muss, wenn eine Person mehr als den gerechten Anteil bekommt, in diesem kausalen Zusammenhang, eine andere weniger bekommen. Im umgekehrten Fall bekommt, wenn irgendjemand weniger bekommt, eine andere umso mehr. Der Imperialismus hat eine Weltordnung geschaffen, in der diejenigen, die weniger und diejenigen, die mehr bekommen, den Bevölkerungen der Dritten bzw. der Ersten Welt entsprechen. Wird der Egalitarismus als ausgleichendes Mittel zur Beurteilung verwendet, ist dann jemand ausgebeutet, wenn er nicht seinen gerechten Anteil bekommt. Entsprechend ist man Ausbeuter, wenn man mehr als seinen gerechten Anteil bekommt. Ein Land wird als ausgebeutet bezeichnet, wenn seine Bevölkerung größtenteils aus Ausgebeuteten, die weniger als ihren gerechten Anteil haben, besteht. Ein Land wird als ausbeuterisch bezeichnet, wenn seine Bevölkerung größtenteils aus Ausbeutern, die mehr als ihren gerechten Anteil haben, besteht. Implizit ist die marxistische Kritik am Imperialismus mit der Idee, dass die Länder der Welt Schulter an Schulter als Gleichgestellte existieren. Die zur imperialistischen in Kontrast stehende Beziehung ist diejenige, die auf Egalitarismus und Selbstbestimmung basiert.“ (9) (10)
Marx ging dem Problem aus dem Weg, indem er den Tendenzen, die er um sich herum sah, eine historische Notwendigkeit zuschrieb. Trotzdem ist die echte Werttheorie von Marx, auch wenn sie größtenteils vergessen ist, weitaus besser als alles, was von den Erstweltlern heute entwickelt wird. Wir müssen mit der Werttheorie von Marx beginnen, aber darüber hinaus gehen, um die Antwort darauf zu geben, was Mao als Frage von höchster Wichtigkeit bezeichnete, die Frage der Klasse: „Wer sind unsere Feinde? Wer sind unser Freunde?“ Die globale Gesellschaft von heute sieht sehr viel anders aus, als zu Marx’ Zeiten. Lenin schreibt: „Der Imperialismus hat die Tendenz, auch bei den Arbeitern privilegierte Sektionen herauszubilden und sie von der breiten Masse des Proletariats loszulösen.“ (11) Heutzutage hat sich diese Teilung dergestalt entwickelt, dass ganzen Ländern das Proletariat als revolutionäre Klasse fehlt. Das ist der Grund, weshalb die Weltrevolution eine völlig andere Form angenommen hat als zu Marx’ Zeiten. Lin Biao schreibt:
„Die gegenwärtige Weltrevolution widerspiegelt das Bild einer Umzingelung der Städte durch die ländlichen Gebiete. Die Schlussanalyse zeigt, dass die ganze Hoffnung des revolutionären Kampfes an den asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Völkern hängt, welche die überwältigende Mehrheit der Weltbevölkerung ausmachen.“ (12)
Die Revolution von heute ist der globale Volkskrieg.
Fußnoten
1. Marx, Eleanor. “Marx’s Theory of Value,” in When Karl Marx Died. Foner, Philip S. [Ed.]. International Publishers. USA: 1973, p. 230.
2. Ebd. S. 235.
3. Marx, Karl. Kapital, Bd. 3, Kap. XVII.
4. http://www.usatoday.com/money/industries/retail/2003-11-10-walmart_x.htm
5. Data extrapolated from BLS statistic from 2009 and 2010 http://www.bls.gov/cps/faq.htm#Ques8 and ftp://ftp.bls.gov/pub/suppl/empsit.cpseea21.txt
6. Diese Methode hier erlaubt es, alle Industrien zusammenzuzählen, die lose als “unmittelbare Produktion” betrachtet werden können. Dasselbe Verfahren ist auch mit den anderen Sektoren möglich. Des Weiteren müssen 10% bis 20% abgezogen werden, um auf die ungefähre Anzahl derjenigen zu kommen, welche in der unmittelbaren Produktion beschäftigt, selber aber keine unmittelbaren Produzenten sind, z.B. im Management etc. Die Zahlen stammen aus den Tabellen des Census Bureau.
7. Lin Biao. Long Live the Victory of People’s War! Abgerufen von: http://www.marxists.org/reference/archive/lin-biao/1965/09/peoples_war/ch07.htm
8. Serve the People. A Rough Estimate of the Value of Labor. Abgerufen von: https://llco.org/a-rough-estimate-of-the-value-of-labor/
9. Prairie Fire. Real versus Fake Marxism on Socialist Distribution. Abgerufen von: https://llco.org/real-versus-fake-marxism-on-socialist-distribution/
10. Prairie Fire. Global Inequality Versus Socialist Equality. Abgerufen von: https://llco.org/global-inequality-versus-socialist-equality/
11. http://www.prisoncensorship.info/archive/etext/mt/imp97/imp97b1.html
12. Lin Biao. Long Live the Victory of People’s War! Abgerufen von: http://www.marxists.org/reference/archive/lin-biao/1965/09/peoples_war/ch07.htm