Rechtspopulismus und moderner Faschismus

Rechtspopulismus und moderner Faschismus

Klaus Markstein
28. März 2022
LLCO.org

In den Medien erscheint Rechtspopulismus oft wie ein neues Phänomen. Auch in der Forschung bekommt er derzeit viel Aufmerksamkeit geschenkt,1 nachdem in den letzten Jahren weltweit neue rechte Parteien und Politiker die gesellschaftliche Bühne betraten. Andere Menschen befürchten aber eher, dass sich in dieser Entwicklung die Geschichte wiederholt. Für sie sind die neuen Bewegungen nur versteckter Faschismus. Aber der Faschismus wird selbst oft missverstanden. Die bürgerliche Geschichtsschreibung bezeichnet ihn gerne als einmalige, unglückliche Verkettung von Zufällen. Aber das stimmt nicht. Wir wollen etwas gegen diese Verwirrung tun. Zuerst werden wir dazu erklären, was Faschismus ist. Danach analysieren wir, ob moderner Rechtspopulismus dieser Definition gerecht wird, und wie die beiden Phänomene zueinander in Beziehung stehen.

Was ist Faschismus?

Faschismus ist die Reaktion des Kapitalismus auf seinen drohenden Untergang. Er soll das System mit allen nötigen Mitteln schützen. Er ist also keine politische Idee, sondern eine Funktion.2

Dem Kapitalismus kam in der Geschichte eine wichtige Rolle zu. Er brachte der Menschheit materiellen Wohlstand und technischen Fortschritt – aber er hat sie nicht gleich verteilt. Wir verdanken ihm die Idee, wenn auch nicht die Realität, dass alle Menschen gleich sind. Die mangelhafte kapitalistische Demokratie war ein Quantensprung im Vergleich zum Feudalismus. Als seine Aufgabe erfüllt war, stand der Kapitalismus weiterem Fortschritt im Weg. Er bringt jetzt immer größere Widersprüche hervor. Beispielsweise verschwenden die imperialistischen Länder so viel Nahrung, dass man damit Fußballstadien füllen könnte. Gleichzeitig sterben laut einer Schätzung von 2017 jährlich 9 Millionen Menschen an Hunger3. Technische Geräte werden immer effizienter und trotzdem werden sie so gebaut, dass sie nach kurzer Zeit kaputt gehen, oder werden mit anderen Mitteln, wie ständige Software-Updates, unbrauchbar gemacht.4 Wirtschaftslobbyisten arbeiten gegen einen effektiven Umweltschutz,5 obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits buchstäblich unser Überleben auf dem Spiel steht. Die Auflösung dieser Widersprüche ist natürlich der Sozialismus. Sozialismus ist keine Meinungsfrage, die man einfach mit ja oder nein beantworten kann. Er ist keine „Alternative“ zum Kapitalismus, sondern seine logische Folge.

Aber die Kapitalisten fürchten sich vor dem Sozialismus, weil er ihnen ihre Privilegien entziehen und sie für ihre Rolle in der alten Gesellschaft zur Verantwortung ziehen wird. Sie können den Verfall des Kapitalismus nicht aufhalten, denn seine Probleme sind in das System eingebaut. Sie können nur versuchen, seine Widersprüche gewaltsam zu befrieden. Dies taten zum Beispiel die Nazis: Sie behaupteten einfach, es gäbe keine Klassenunterschiede und überstrichen die antagonistische Beziehung von Ausbeutern und Ausgebeuteten einfach mit leeren Worten wie „Volksgemeinschaft“.6 Solche Maßnahmen können den Untergang des Kapitalismus aber nur verlangsamen. Wer den Kapitalismus langfristig retten will, muss die Gesellschaft in eine Zeit zurückversetzen, in welcher er noch funktioniert hat. Das bisher schrecklichste Beispiel für diese verzweifelten Maßnahmen ist die Lebensraum-Politik der Nazis. Mit ihr wollten die Herrschenden die Widersprüche des Kapitalismus auflösen, indem sie Teile der deutschen Bevölkerung einfach in Osteuropa ansiedelten, wo sie als Bauern wie in vorindustriellen Zeiten leben sollten. Auch der Holocaust war eine Folge dieser Politik. Der industrielle Massenmord an den europäischen Juden war ein Mittel, um in den besetzten Gebieten Platz für deutsche Siedler zu schaffen.7

Wir sehen: Wenn eine Krise hereinbricht und sie das politische Bewusstsein der Menschen wachrüttelt, wenn die Akkumulation von Reichtum an ihre Grenzen gerät, muss die Kapitalistenklasse immer abscheulichere Maßnahmen anwenden, um ihr System zu verteidigen. Je näher der Kapitalismus seinem Ende ist, desto stärker wehrt er sich.

Wir können diesen Prozess an einem historischen Beispiel verdeutlichen.

Nach dem Ersten Weltkrieg stand Deutschland kurz vor einer sozialistischen Revolution aber es gelang den Sozialdemokraten, sie auszubremsen. Die Sozialdemokratie war zu diesem Zeitpunkt das Hauptwerkzeug der Kapitalisten, um sich gegen die sozialistische Revolution zu verteidigen. Wenn Arbeiter Aufstände planten, sagten die Sozialdemokraten ihnen: „Wenn ihr eine Revolution macht, wird es uns allen so gehen wie den Russen! Wir müssen das System reformieren, und nicht alles kaputt machen!“ Das hat eine kurze Zeit lang funktioniert. Aber der Kapitalismus lässt sich nicht reformieren; und dank der Weltwirtschaftskrise verloren die Sozialdemokraten ihre Glaubwürdigkeit. Die Menschen tendierten immer mehr zur Revolution. Ein neues Werkzeug musste her: der Faschismus. Statt von der Versöhnung der Klassen zu sprechen, wie die Sozialdemokraten, erklärten die Faschisten Klassen einfach für nicht existent. Sie konstruierten ein künstliches „Wir-gegen-sie“-Gefühl, damit sich die Wut der Bevölkerung nicht gegen die Kapitalisten richtet, sondern gegen Minderheiten, vor allem Juden, und politisch Andersdenkende, die „sich gegen das Wohl der Volksgemeinschaft stellten“.

Die Maßnahmen des Faschismus sind im Wesentlichen die Maßnahmen, die der Kapitalismus die ganze Zeit anwendet, um sich selbst zu erhalten. Im Faschismus erreichen diese Maßnahmen aber ihre extremste Form. Er ist daher keine Ideologie; er ist ein Werkzeug. Um ihre Unterstützung zu erlangen, schmierten die Faschisten den Menschen Honig ums Maul und erzählten ihnen genau das, was sie hören wollten: Mussolini gab selbst zu, dass er in den ersten vier Jahren nach der Gründung der faschistischen Bewegung noch keine bestimmte Ideologie im Sinn hatte. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg hatte seine Partei noch keinen Halt in der Bevölkerung. Sie musste mit der revolutionären Stimmung der Zeit mitgehen und schrieb eine Menge links-klingender Forderungen in ihr Programm. Es war eine wirre Mischung aus chauvinistischen und revolutionär anmutenden Floskeln. Dieselbe Strategie verfolgten die Nazis. Der Name „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ ist vollkommen sinnlos und soll nur so viele Menschen wie möglich ansprechen. Außerdem haben es die historischen Faschisten nie zustande bekommen, Faschismus einheitlich zu definieren. Erst wenn der Faschismus an der Macht ist, bröckelt die Fassade und bringt das ganze Ausmaß kapitalistischer Repression zum Vorschein, die ihn ausmacht.8

Das ist die Antwort auf die Frage, warum bürgerliche Akademiker Faschismus so schlecht verstehen. Sie erkennen nicht (oder wollen nicht erkennen), dass Faschismus ein natürlicher Schutzmechanismus des Kapitalismus ist, wenn er durch seine eigenen Widersprüche in die Enge getrieben wird.

Was ist Rechtspopulismus?

Die Natur des Rechtspopulismus

Die modernen Rechtspopulisten ähneln den historischen Faschisten zugegebenermaßen in vielen Aspekten. Beide haben keine Ideologie, sondern versprechen einfach nur schnelle Lösungen für komplexe Probleme. Sie profitieren vom Vertrauensverlust in die etablierten Parteien, die unfähig sind, die wachsenden Widersprüche des Kapitalismus zu mildern. Und sie zeichnen Feindbilder, mit denen sie den Klassencharakter der Gesellschaft verheimlichen.

Die typischen Rechtspopulisten sehen so aus: Sie sind nationalistisch und kritisieren überstaatliche Institutionen, zum Beispiel die EU oder internationale, bindende Abkommen. Sie suchen sich Sündenböcke, zum Beispiel Muslime oder Mexikaner, die sie als Strohmänner benutzen, denen sie die Schuld für alle möglichen Probleme in die Schuhe schieben. Wenn das nicht funktioniert, leugnen sie einfach, dass Probleme bestehen, wie zum Beispiel Klimaleugner beim Klimawandel. Und tatsächlich vertreten Rechtspopulisten mit ihren Positionen oft kapitalistische Interessen. Trump führte Steuererleichterungen für Superreiche ein.9 Den Klimawandel zu leugnen, hilft der Energie- und besonders der Kohleindustrie. Die Forderungen nach nationaler Autarkie schützen die kleinen Kapitalisten davor, von internationalen Unternehmen aus dem Markt verdrängt zu werden. Und mit ihrer rassistischen Rhetorik kehren sie ganz allgemein die Verbrechen des Systems unter den Teppich. Es macht nämlich einen großen Unterschied, ob man Flüchtlinge als „Sozialschmarotzer“ oder als Opfer des Imperialismus betrachtet.

Historische Amnesie

Menschen, die sich von rechtspopulistischer Demagogie beeindrucken lassen, leiden oft unter ‚historischer Amnesie‘, wie der Autor Francesco Filipi dieses Phänomen elegant nennt.10 Als eine weitere Methode, um von den Fehlern des Kapitalismus abzulenken, konstruieren die Rechtspopulisten eine imaginäre, romantisierte Vergangenheit. In Italien hört man: „Mussolini gab uns Renten!“ „Wir waren alle reicher unter Mussolini!“ „Mussolini hat Italien groß gemacht, alle haben uns respektiert!“ Diese Mythen finden scheinbar vor allem bei unzufriedenen Menschen Anklang. Im Gegensatz zu den korrupten Politikern des heutigen Italiens, wäre Mussolini ein prinzipienfester, wohlwollender Diktator gewesen. Statt sich von langwierigen Politikprozessen aufhalten zu lassen, hätte seine Regierung die Dinge einfach angepackt und erledigt. Während heute Kriminalität und Chaos zum Alltag gehören würden, hätte unter Mussolini Ordnung geherrscht. Italien drückt sich bis heute davor, seine faschistische Vergangenheit aufzuarbeiten. Es schiebt die Schuld für seine Verbrechen allein den Nazis in die Schuhe, um sich seiner Verantwortung zu entziehen. Faschisten durften auch nach dem Krieg oft ihre Posten in der Verwaltung behalten. Man glaubte, dass eine Aufarbeitung des Faschismus die Italiener zu sehr spalten würde.11

Ganz ähnlich in Deutschland: Auch unter den Deutschen gibt es Mythen über die NS-Zeit. Eine bekannte Lüge, die dort als „Stammtischparole“ gilt, lautet: „Hitler erfand die Autobahn!“12 Die westlichen Alliierten erlaubten den Deutschen, sich wie die Italiener eine Ausrede zurechtzulegen, um ihre massenhafte Unterstützung für das Nazi-Regime unter den Teppich zu kehren: Sie wären nur die Opfer des charismatischen Demagogen Hitler gewesen. Aber die Maske fiel spätestens, als die AfD und Pegida erschienen. Heute reden Spitzenpolitiker die NS-Zeit schön, wie zum Beispiel Alexander Gauland, der sagt: „[Wir] haben […] das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen.“13

Dieses Phänomen gibt es auch in Osteuropa. In Polen und der Ukraine, beispielsweise, verherrlicht man die vor-sowjetische Zeit und feiert dabei Nazi-Kollaborateure und Faschisten, wie Stepan Bandera und Józef Piłsudski.14, 15

Das Verhältnis von Rechtspopulismus zu Faschismus

Obwohl Rechtspopulisten normalerweise die Vorhut des Faschismus sind, sind sie nicht zwangsweise Faschisten. Warum?

1. Sie vertreten nur die Interessen einer bestimmten Gruppe von Kapitalisten. Bill Gates, Mark Zuckerberg und andere Technikriesen haben, allgemein gesprochen, kein Interesse daran, den Klimawandel zu leugnen.16, 17 Sie selbst profitieren nicht vom Kohlegeschäft und wissen ganz genau, dass der Klimawandel auch ihre Existenz gefährdet. Teile der Leichtindustrie und der Dienstleistungsbranche profitieren von einem möglichst freien Warenverkehr über Ländergrenzen hinweg, z.B. um neue Märkte zu erschließen oder billige Arbeitskräfte aus dem Ausland anheuern zu können. Außerdem sind die gewaltbereiten Extremisten, die sich im Schatten der Rechtspopulisten verstecken, eine potentielle Gefahr für die liberale Demokratie.18 Diese bietet aber aktuell den effektivsten Rahmen für eine ungestörte Warenzirkulation, und damit für Profite. Die Rechtspopulisten vertreten vor allem die Interessen der nationalen Bourgeoisie. In unserer global vernetzten Welt ist es aber nicht möglich, die großen, internationalen Player zu vernachlässigen. Faschismus vertritt nämlich die Interessen der wichtigsten Teile der Kapitalistenklasse.

2. Faschismus ist ein Schutzmechanismus, der auf eine herannahende Revolution reagiert. Diese gibt es in der Ersten Welt, wo viele dieser Parteien und Politiker Erfolge feiern, aber nicht. Es scheint fast so, dass einige Erst-Weltisten sich die Gefahr durch den Faschismus einreden, um zu beweisen, dass es in der Ersten Welt revolutionäres Potential gäbe.

Aber nicht alle populistischen Parteien sind gleich. In den reichen Ländern, wie Deutschland oder Frankreich, erfüllen die Populisten sicher nicht zwangsweise die Funktion des Faschismus, da eine sozialistische Revolution dort utopisch ist. Aber in Ländern, wo der Kapitalismus derzeit weniger erfolgreich ist, zum Beispiel in Polen mit seiner verheerenden Inflation,19 sind die Rechtspopulisten deutlich erfolgreicher. In diesem Fall nähern sie sich den Faschisten an (und sind trotzdem noch weit von ihnen entfernt).

Und nur weil Faschismus und Rechtspopulismus beide von Rassismus Gebrauch machen, ist das noch nicht die Grundlage eines einheitlichen, politischen Programms. Viel eher hat sich Rassismus geschichtlich einfach bewährt, um das Proletariat zu spalten und von den Problemen des Kapitalismus abzulenken.

Repression in einem kapitalistischen Staat ist also ein Kontinuum. Auf der einen Seite dieses Kontinuums befinden sich liberale Demokratien, die wirtschaftlich florieren (oft dank Imperialismus). Im Idealfall ist die Repression dort minimal: Kapitalisten können ihre Interessen über offizielle Kanäle durchsetzen, z.B. mittels Lobbying.

Wenn der Kapitalismus aufhört, Wohlstand für alle zu generieren, erwacht Schritt für Schritt das politische Bewusstsein der Menschen. Neue Maßnahmen sind jetzt nötig. Es entstehen auf beiden Seiten des politischen Spektrums Parteien, die sich dieser Probleme annehmen. Im rechten politischen Lager versucht man, den Frust der Menschen weg vom System, hin zu künstlichen Feindbildern zu lenken. Das ist die Phase, in der sich die meisten Länder befinden, die vom Rechtsruck betroffen sind.

Wenn die wirtschaftlichen Probleme zunehmen aber die politische Linke schwach ist, dann können diese rechtspopulistischen Parteien es bis in die Regierung schaffen, wie zum Beispiel in Polen. Jetzt werden sie anfangen, autoritäre Gesetze zu erlassen, um ihre Macht zu sichern.20 Allerdings braucht es dazu gar keine neuen Parteien. Die bürgerlichen, etablierten Parteien könnten auch selbst zunehmend autoritär und populistisch werden.

Wenn die Krisen sich verschärfen, die Menschen sich immer mehr der sozialistischen Idee zuwenden und die Kapitalistenklasse der Situation nicht mehr mit den bisherigen Mitteln Herr werden kann, betreten wir den Bereich des Faschismus. Die Kapitalisten werfen ihre Unterstützung nun hinter die reaktionärsten Kräfte der Gesellschaft. Diese wollen die Geschichte umkehren, und in in eine Zeit zurückgehen, in welcher der Kapitalismus noch nicht an seinen eigenen Widersprüchen zugrunde ging. In dieser Phase werden Gewerkschaften verboten, demokratische Prozesse abgeschafft und politische Gegner aufs Ärgste verfolgt. Technischer Fortschritt und Wissenschaft werden unterdrückt. Die Zerstörung der Zivilisation gipfelt schließlich in Kriegen.

Sowohl Rechtspopulismus als auch Faschismus entstehen also aus bestimmten Problemen heraus. Der Unterschied: Rechtspopulismus adressiert einige Nebeneffekte eines ansonsten stabilen Kapitalismus. Der Faschismus betritt die Bühne, wenn die Existenz des Kapitalismus bedroht ist. Da wir uns aber auf einem Kontinuum bewegen, können sich Rechtspopulisten zu Faschisten entwickeln. Genauso gut können aber auch etablierte bürgerliche Parteien dies tun.

Faschismus heute

Faschismus als Werkzeug des Imperialismus

Der Imperialismus mischt sich in die Politik anderer Länder ein. Er ist berüchtigt dafür, Regierungen zu stürzen, die sich gegen seine Hegemonie wehren.21 Wenn ihm das gelingt und diese Länder nicht danach im Chaos versinken, wie beispielsweise Libyen22, dann setzt er Marionettenregierungen ein. Diese Funktion hatte auch die ehemalige bolivianische Übergangspräsidentin Jeanine Áñez, eine christliche Fundamentalisten, die Indigene für Satanisten hält.23 Nachdem sie den Platz von Evo Morales eingenommen hatte, kam es zu Gewalt gegen Indigene und Anhänger der geputschten, linken MAS-Regierung.24, 25 Ihr werden außerdem Verstöße gegen die demokratische Verfassung des Landes vorgeworfen.26 Dieses Schema ist nicht neu. Dieselbe Rolle spielten auch die Mujahideen in Afghanistan.27 Diese ultra-reaktionären Kräfte sind hierbei ein Werkzeug der Kapitalistenklasse, um Gefahren für ihre Vorherrschaft aus dem Weg zu räumen. Einige der imperialistischen Marionettenregierungen verdienen also den Namen Faschisten.

Faschismus und die Erste Welt

Der Ersten Welt kommt in dieser Thematik eine besondere Bedeutung zu: Durch ihre Position im imperialistischen System und Jahrzehnte antikommunistischer Indoktrination, ist sie anfälliger für Faschismus. Der imperialistische Kern profitiert unmittelbar von der Ausbeutung der Dritten Welt, ihrer Arbeitskräfte und ihrer Rohstoffe. Diese Ausbeutung ist die Grundlage für den Reichtum der „fortschrittlichen“ Länder.28 Die Erste Welt besitzt nicht nur einen deutlich höheren Lebensstandard als die Dritte;29 auch absolut betrachtet konsumiert die Erste Welt weit schneller Ressourcen als der Planet sie reproduzieren kann.30 Wenn die Dritte Welt sich schließlich vom Joch des Imperialismus befreien und den Marsch gen Sozialismus antreten wird, wird unweigerlich der Lebensstandard der Ersten Welt sinken. Außerdem wird eine sozialistische Welt nicht mehr die dekadente Verschwendung von Ressourcen erlauben, wie sie in der Ersten Welt heutzutage stattfindet, denn sie ist ein Ausdruck des kapitalistischen Profitstrebens. Der Sozialismus, ob im Ausland oder zu Hause, steht derzeit also im Widerspruch zu den kurzfristigen materiellen Interessen der Erste-Welt-Bevölkerung. Je mehr sich die internationale Krise des Kapitalismus verschärft, desto stärker werden rechte, autoritäre Kräfte dort werden.

Neuer Faschismus

Schließlich wollen wir noch die Frage klären, ob ein zukünftiger Faschismus denn zwangsweise eine Neuauflage Nazideutschlands oder des faschistischen Italiens sein muss. Wir erinnern uns: Faschismus ist ein Werkzeug, keine Ideologie. Alles was die Aufgabe erfüllt, ist den Kapitalisten recht. Es ist gut möglich, dass wir im Faschismus der Zukunft nicht durch die Angst vor einer Gestapo kontrolliert werden, sondern durch gezielte Informationen und Propaganda von Softwareunternehmen. Die technischen Mittel, die der Kapitalistenklasse schon heute zur Verfügung stehen, sollten uns Grund zur Vorsicht geben. Im Sozialismus dient neue Technik dazu, das Leben der Menschen zu erleichtern und die Gesellschaft als Ganzes zu bereichern. In den Händen der Kapitalistenklasse ist Technik aber ein Fluch für die Menschen. Sie macht uns arbeitslos, entfremdet uns von unseren Mitmenschen und eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Repression. Diese Repression werden wir in Zukunft immer mehr zu spüren bekommen und könnte in einem modernen Faschismus dystopische Ausmaße annehmen.

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche macht uns zunehmend verwundbar. Einige europäische Staaten und China kommen bereits fast vollständig ohne Bargeld aus.31, 32 Viele Menschen speichern wichtige Dokumente ausschließlich in Clouds. Ein großer Teil unseres Soziallebens findet mittlerweile im Internet statt. Und wir tragen jederzeit Technik mit uns, die in Abhörgeräte verwandelt werden kann. Wie würde ein Staat von der Bösartigkeit des NS-Regimes sich diese Tatsachen zunutze machen?

Er würde unsere gesamte Kommunikation überwachen, um politische Gegner ausfindig zu machen. Er würde unsere Daten sammeln und Persönlichkeitsprofile erstellen, um uns gezielt mit Propaganda zu versorgen. Er würde einfach unsere Bankkonten einfrieren und uns vollkommen mittellos dastehen lassen, wenn wir uns oppositionell betätigen. Der Fantasie sind hierbei keine Grenzen gesetzt. Dieses Zukunftsszenario ist auch nicht wirklichkeitsfern. Die Digitalisierung ist in erster Linie ein Mittel, um die Profite der Kapitalisten zu steigern. Sie rationalisieren Arbeitsabläufe und bieten neue Dienste und Produkte an. Die Produktionskosten von Software sind außerdem nahezu null und deswegen können die wenigen Monopolisten hohe Gewinne erzielen. Doch schon heutzutage nutzt die Kapitalistenklasse Technik abseits von wirtschaftlichen Gewinnen zu ihrem Vorteil. Revolutionär gesinnte Menschen und jene, die sich gegen den US-Imperialismus aussprechen, leiden in den sozialen Medien unter Zensur oder Quasi-Zensur. Oft werden ihre Facebook-Seiten, YouTube-Kanäle oder Twitter-Konten aus scheinheiligen Gründen gesperrt. Wenn das nicht geschieht, dann werden sie zumindest in den Suchergebnissen benachteiligt oder Teile ihrer Inhalte von der Plattform genommen. Alle großen Softwareunternehmen arbeiten außerdem mit westlichen Geheimdiensten zusammen und helfen ihnen dabei, unsere Daten zu sammeln.33 NSA, CIA und andere verüben darüber hinaus im großen Stil Cyberangriffe mithilfe von präparierter Hard- oder Software.34 Dass sie dabei von den Herstellern selbst unterstützt werden, ist nicht unwahrscheinlich.

Fazit

Faschismus und Rechtspopulismus sind sich in ihrem Wesen sehr ähnlich. Beide sind eine natürliche Reaktion des Kapitalismus auf Probleme. Der Unterschied besteht aber in der Schwere dieser Probleme. Der Rechtspopulismus reagiert auf einige Sorgen des opportunistischen Kleinbürgertums und der nationalen Bourgeoisie, die sich vor der Übermacht des internationalen Monopolkapitals fürchten. Er projiziert außerdem die Frustration entfremdeter Menschen auf unschuldige Sündenböcke, statt auf die wahre Ursache, den Kapitalismus. Faschismus ist hingegen die letzte Zuflucht des kapitalistischen Systems als Ganzes, wenn es kurz vor seinem Untergang steht.

Wir wollen nicht die reale Gefahr für radikale Linke verharmlosen, die von neuen rechten Gruppierungen und dem kapitalistischen Staat generell ausgehen. Aber der gegenteilige Fehler, nämlich die Opfer dieser Demagogie als „Faschisten“ zu bezeichnen, hilft uns nicht weiter. Weder schaltet man dadurch eine potentielle Gefahr aus, noch bringt man diese Menschen so auf unsere Seite. Die Realität ist nämlich: Jedes Mal, wenn ein Mensch unter dem Kapitalismus leidet und daraufhin Teil einer rechten Bewegung wird, haben wir Linken versagt. Und nur weil sich einige von uns einreden, der Faschismus stünde kurz bevor, kann das nichts daran ändern, dass das revolutionäre Potential der Ersten Welt effektiv null ist.

Wir wollen auch nicht dazu aufrufen, den Übergang zum Faschismus zu akzeptieren und als gegebenen Fakt hinzunehmen. Das einzige Mittel gegen Faschismus ist eine starke, marxistische Bewegung. Dieses Bewusstsein aufzubauen und weiterzuverbreiten gehört zu den grundlegenden Aufgaben aller radikalen Linken.

Quellen

1 Zum Beispiel: Khakhalkina E. W. (2020). Новое лицо Евросоюза: феномен правого популизма на примере отдельных стран ЕС. Abgerufen von: https://www.researchgate.net/publication/348934911_New_Face_of_European_Union_Right-Wing_Populism_in_the_EU-Countries

2 Dutt, Rajani P. (1972) [1934]. Faschismus und soziale Revolution. Frankfurt: Materialismus.

3 Mercy Corps (8. Mai 2020) [18. März 2015]. The facts: What you need to know about global hunger. Abgerufen von: https://www.mercycorps.org/blog/quick-facts-global-hunger

4 Soke, Andrea (14. Januar 2021). Built To Fail: 7 Examples Of Planned Obsolescence. Abgerufen von: https://durabilitymatters.com/planned-obsolescence/

5 Nature Climate Change (28. Mai 2019). Lobbying for and against climate solutions. Abgerufen von: https://doi.org/10.1038/s41558-019-0499-4

6 Kleinhans, Bernd (5. Oktober 2004). Volksgemeinschaft. Abgerufen von: https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/volksgemeinschaft/

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8 Dutt, Rajani P. (1972) [1934]. Faschismus und soziale Revolution. Frankfurt: Materialismus.

9 Clemente, Frank (3. Januar 2020). Eight Ways the Trump-GOP Tax Cuts Have Made the Rich Richer While Failing Working Families. Abgerufen von: https://inequality.org/research/trump-tax-cuts-inequality/

10 Filipi, Francesco (2019). Mussolini also did a lot of good. The spread of historical amnesia. Montréal: Baraka Books.

11 Malone, Hannah (18. September 2017). Legacies of Fascism: architecture, heritage and memory in contemporary Italy. Cambridge University Press. Abgerufen von: https://doi.org/10.1017/mit.2017.51

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13 Der Volksverpetzer (7. Oktober 2018 ). So rechtsradikal ist die AfD wirklich: 21 Aussagen, die zeigen, wie rechtsradikal die AfD wirklich ist. Abgerufen von: https://www.volksverpetzer.de/analyse/nazis-in-afd/

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16 Srivastava, Deepali (4. März 2021). Bill Gates tackles climate change. Abgerufen von: https://www.strategy-business.com/article/Bill-Gates-tackles-climate-change

17 Calma, Justine (10. Februar 2022). Chan Zuckerberg Initiative announces tens of millions in funding for climate tech. Abgerufen von: https://www.theverge.com/2022/2/10/22927245/chan-zuckerberg-initiative-millions-funding-climate-tech-carbon-removal

18 Fromm, Rainer (9. Juni 2021). Antisemitismus, Rassismus, Hass: Geheime AfD-Chats legen Extremismus offen. Abgerufen von: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afd-chatgruppen-extremismus-100.html

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28 Arghiri, Emmanuel (1986). Unequal exchange and the prospects of socialism. Abgerufen von: https://anti-imperialist.net/wp-content/uploads/2019/11/unequal.pdf

29 World Population Review (2022). Standard of Living by Country | Quality of Life by Country 2022. Abgerufen von: https://worldpopulationreview.com/country-rankings/standard-of-living-by-country

30 World Population Review (2022). Ecological Footprint by Country 2022. Abgerufen von: https://worldpopulationreview.com/country-rankings/ecological-footprint-by-country

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33 Jim Edwards (11. Juli 2011). Social Media Is a Tool of the CIA. Seriously. CBS News. Abgerufen von: https://www.cbsnews.com/news/social-media-is-a-tool-of-the-cia-seriously/

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