Was ist Revisionismus?
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Einige Leute denken fälschlicherweise, dass der Revisionismus die Abweichung von einer Orthodoxie sei, die „Revision“ einer Tradition. Diese Betrachtungsweise des Revisionismus ist in einem marxistischen Kontext unzutreffend. Wir dürfen marxistische Autoren nicht auf dieselbe Weise behandeln, wie die Kirche des Mittelalters Aristoteles behandelt hat. Mao lag richtig, als er sagte, dass wir uns gegen die Buchgläubigkeit stellen müssen. Wir dürfen die Klassiker des Marxismus nicht auf dieselbe Weise zitieren, wie die Jesuiten die Bibel zitiert haben. Marxismus ist kein Dogma, es ist lediglich eine revolutionäre Wissenschaft. Der Marxismus verwendet lediglich Wissenschaft für die Verwirklichung der vollständigen Befreiung, für die Verwirklichung des Kommunismus. Wie jede andere Wissenschaft entwickelt sich die revolutionäre Wissenschaft mit der Zeit weiter. Wenn jede Abweichung von den Marxschen Originalwerken Revisionismus wäre, dann wäre alles, was nach Marx publiziert worden ist, revisionistisch. Das ist nicht der Fall. Also, was ist Revisionismus?
Revisionismus will nicht einfach die marxistischen Werke „revidieren“. Manchmal ist es sogar notwendig, etwas zu „revidieren“, um die Wissenschaft vorwärtszubringen. Etwas „Revision“ ist gut. Der Marxismus verlangt manchmal, von den revolutionären Klassiker abzukommen. Revisionismus ist etwas völlig Anderes. Der Revisionismus will das revolutionäre Herz aus dem Marxismus heraus revidieren. Revisionisten sind jene, die die revolutionäre Wissenschaft in ihr Gegenteil verkehren. Sie setzen der Konterrevolution und der Unterdrückung eine „marxistische“ Maske auf. Die Revisionisten hissen die Rote Fahne, um sich gegen die Rote Fahne zu stellen. Es gibt verschiedene Arten von Revisionismus. Sie überschneiden sich häufig und beziehen sich auf einander.
- Reformismus. Die Reformisten sagen oftmals, dass wir keine Revolution bräuchten. Sie sagen, das System könne schrittweise reformiert werden. Sie denken, dass wir den Sozialismus (und Kommunismus) mit legalen und parlamentarischen Mitteln erreichen könnten. Sie betrachten den gegenwärtigen Staat nicht als das Werkzeug der reaktionären Klassenherrschaft. Sie betrachten ihn als halbwegs neutralen oder als unabhängigen Akteur, welcher über dem Klassenkampf steht. Ihrer Meinung nach kann der reaktionäre Staat erkämpft werden; der reaktionäre Staat kann einen Ort bilden, wo die Klassenantagonismen ausgehandelt werden können. Ihrer Meinung nach können die Kräfte des Volkes ihren Einfluss über den Staat mit legalen Mitteln schrittweise ausweiten. Sie glauben, dass die Kräfte des Volkes gewählt werden können, eine Lobby bilden können etc. Dies entspringt der Vorstellung, dass sich das kommunistische Bewusstsein spontan aus den wirtschaftlichen Kämpfen entwickeln könne, wie z.B. im Kampf für bessere Löhne. Dieser Gradualismus und Evolutionismus wurde von den Revisionisten der Zweiten Internationale vertreten. Manchmal werden diese Kräfte auch „Sozialdemokraten“ genannt.
Lenin hat diese Revisionisten aufs Schärfste verurteilt. Er hatte eine andere Auffassung vom Staat. Er vertrat die Ansicht, dass der Staat nicht neutral ist. Der Staat repräsentiert immer die Diktatur einer Klasse über eine andere. Der Staat ist immer ein Akteur der Repression. In seiner gegenwärtigen Form kann er von den revolutionären Kräften nicht erobert werden. Er kann nicht aus den Händen der reaktionären Kräfte herausgeboxt werden. Es gibt ein Gleichnis von einem Mann, der einen Sack voll Gold ins Meer fallen lässt und dem Gold hinterher springt. Er ertrinkt. War das Gold sein Eigentum oder war er das Eigentum des Goldes? So ist das Wesen des reaktionären Staates. Jene Revolutionäre, welche versuchen, in den Staat einzudringen, verlieren sich im Prozess. Sie erobern nicht den Staat, der Staat erobert sie. Der alte Staat muss zerschmettert werden. Eine Doppelherrschaft muss innerhalb der Gesellschaft errichtet werden, um gegen die alte Macht zu kämpfen. Eine Neue Macht muss von Grund auf neu errichtet werden. Eine Neue Macht muss errichtet werden, um die alte Macht zu ersetzen. Die Neue Macht zu errichten, ist der Auftrag des Proletariats. Die Bejahung des Reformismus ist die Ablehnung der Neuen Macht.
- Sozialimperialismus/Sozialfaschismus. Es gibt Leute, die behaupten, sie seien Marxisten, gleichzeitig befürworten sie den Imperialismus. Sie verpacken den Imperialismus in einer roten Fahne. Die ursprünglichen Sozialimperialisten waren die Sozialdemokraten der Zweiten Internationale. Die deutschen und französischen Sozialdemokraten unterstützten die Kriegsbestrebungen ihrer imperialistischen Heimatländer im 1. Weltkrieg. Sie begründeten dies damit, dass ein Sieg in jenem Krieg den Arbeitern ihrer Heimatländer helfen würde. Sie versuchten, die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung mit der Beute des imperialistischen Raubzugs zu befriedigen. Die Revisionisten gaben ihren eigenen Leuten, ihren eigenen Arbeitern den Vorzug anstelle des globalen Proletariats. Diese Sozialdemokraten waren auf engstirnige Weise nationalistisch. Im Gegensatz dazu befürwortete Lenin eine Politik des „revolutionären Defätismus“ für die imperialistischen Länder. Lenin setzte auf die Niederlage des Zarenreichs in der Hoffnung, eine Niederlage in seinem imperialistischen Heimatland könnte zu einer revolutionären Situation führen. Im Widerspruch zu Lenin stehend, waren die Revisionisten der Zweiten Internationale damit die Sozialimperialisten und Sozialfaschisten jener Zeit. Dem Namen nach waren sie Sozialisten, in Wirklichkeit aber waren sie Imperialisten und Faschisten.
Es gab auch andere Arten des Sozialimperialismus. Mitte des 20. Jahrhunderts hörte die Sowjetunion zum Beispiel auf, zum Kommunismus vorwärtszuschreiten. Die sowjetische Bürokratie entwickelte sich zur neuen Kapitalistenklasse. Sie fing an, kapitalistische Politik einzuführen. * Obwohl sie sich als Sozialisten ausgaben, handelten sie wie eine imperialistische Großmacht. Sie beuteten andere Länder aus. Sie zwangen Teilen der Dritten Welt ihre eigene Kolonialherrschaft auf. Wie die Imperialisten zuvor teilten die UdSSR und die westlichen Imperialisten die Welt in „Einflusssphären“ auf. Beide imperialistische Blöcke, der West- und Ostblock, arbeiteten Hand in Hand, um die Dritte Welt zu kontrollieren. Die Imperialisten als Ganzes gestalteten die Weltwirtschaft um, so dass die Imperialisten auf Kosten der Dritten Welt profitieren konnten. Unter dem Banner des Sozialismus führte die UdSSR imperialistische Aggressionen aus.
- Erstweltlertum. Das Erstweltlertum ist eine weitverbreitete Variante des Sozialimperialismus. Das Erstweltlertum ist eine Form des Revisionismus, die behauptet, dass in der Ersten Welt eine bedeutsame soziale Basis für eine Revolution existieren oder dass in der Ersten Welt eine verbreitete, bedeutsame Ausbeutung stattfinden würde. Das Erstweltlertum identifiziert verschiedene Klassenfeinde in der Ersten Welt als progressive Kräfte. Einige Erstweltler behaupten, dass die lohnabhängige und arbeitende Bourgeoisie (die „Arbeiteraristokratie“ oder die sogenannten Arbeiter) in der Ersten Welt ausgebeutet würde und potenziell revolutionär sei. ** Andere Erstweltler meinen, dass die Lumpenbourgeoisie der Ersten Welt derart unterdrückt werde, dass sie als Ersatzproletariat fungieren könne. Andere Erstwelter meinen, dass die Mehrheit der Nichtweißen in Nordamerika als ein Ersatzproletariat fungieren könnte. Wieder andere Erstwelter denken, die Frauen oder die Jugend der Ersten Welt könnte als Ersatzproletariat dienen. Und wieder andere Erstwelter sagen, sie könnten, als ob das möglich wäre, in der Ersten Welt eine „soziale Basis“ ohne Staatsmacht bilden, indem sie sich den revolutionären Akteur einfach herbeiwünschen. All diese sozialen Gruppen sind zusammen als Ganzes Feinde der Mehrheit der Dritten Welt. Es ist reaktionär, für sie einzutreten. Erstwelter, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht, werden letztendlich auf die eine oder andere Weise den Imperialismus gegen die Dritte Welt verteidigen.
- Die Theorie der Produktivkräfte. Dieser Revisionismus spielt die Notwendigkeit des Klassenkampfs im revolutionären Prozess herunter. Dieser Revisionismus haltet stattdessen die Entwicklung der Technologie für den Schlüssel zu einer besseren Welt. Diese Sichtweise überschätzt die Rolle der Technologie im revolutionären Prozess. Manchmal tut sie so, als ob allein die technologische Entwicklung den Kommunismus bringen würde. Diese Revisionisten haben das Ziel falsch gesetzt. Statt das Ende der Unterdrückung als Ziel ins Auge zu fassen, sehen sie das Ziel in einer verschwenderischen Gesellschaft voller Konsumgüter. Der Drittweltsozialismus wird nicht an den Erstweltkapitalismus herankommen bezüglich der Konsumgesellschaft, weil Sozialismus auf Nachhaltigkeit und nicht auf Imperialismus basiert. Da der Drittweltsozialismus es nicht mit dem Erstweltkapitalismus bezüglich der Konsumgesellschaft aufnehmen kann, meinen diese Revisionisten, dass der Sozialismus selber abgelehnt werden muss. Sie halten die Möhre der Konsumgesellschaft vor die Nase der Masse, um sie zu reaktionärem Denken anzuspornen. Dies steht im Zusammenhang mit dem Ökonomismus.
- Nicht bis zum Kommunismus weitergehen. Manche Revisionisten sagen, dass wir nicht ganz bis zum Kommunismus weitergehen müssen. Dieser Revisionismus spielt die Notwendigkeit der Fortsetzung des Klassenkampfs im Sozialismus herunter. Diese Revisionisten sagen, dass im Sozialismus der Klassenkampf einfach abklingen würde. Sie sehen den Sozialismus nicht als Übergang zum Kommunismus. Vielmehr betrachten sie den Sozialismus einfach als die Verstaatlichung der Industrie und einen starken Wohlfahrtsstaat. Im Gegensatz dazu meinten die Kommunisten der Ära Maos, wenn man nicht zum Kommunismus vorwärtsschreitet, wird die Revolution zurück in den Kapitalismus gleiten. Wenn man nicht beständig vorwärtsdrängt, wird die Konterrevolution die Revolution zunichte machen. Die übriggebliebenen Ungleichheiten aus der alten Gesellschaft und neue Ungleichheiten werden sich verfestigen und eine neue Kapitalistenklasse wird innerhalb der Machtorgane entstehen. Reaktionäre Ideen werden sich verbreiten und die Revolution rückgängig machen. Das ist der Grund, weshalb Mao sagte: „Niemals den Klassenkampf vergessen!“. Kontinuierlich muss ein revolutionärer Kampf gegen Ungleichheit und reaktionäre Kultur geführt werden, sonst wird eine neue Bourgeoisie entstehen und die Revolution rückgängig machen. Das ist die Fortführung der Revolution unter der Neuen Macht des Proletariats.
Diese Liste ist nicht vollständig. Sie umfasst lediglich die wichtigeren Formen des Revisionismus. Es gibt noch viele andere Variationen. Diese Revisionismen überschneiden sich beinahe immer. Für gewöhnlich implizieren sie sich gegenseitig. Die Akzeptierung des einen, ist die Akzeptierung aller anderen. Gegenwärtig wird mit der Kritik am Erstweltlertum die Kritik an allen anderen miteinbezogen. Der Kampf gegen das Erstweltlertum ist der wichtigste antirevisionistische Kampf in unserer Zeit. Kein Revisionismus ist sicher, wenn man auf das Erstweltlertum zielt; kein Revisionismus ist sicher, wenn man den Kommunismus des Leitenden Lichts vorwärtsbringt. Der einzige Antirevisionismus von heute ist die wahre revolutionäre Wissenschaft, der Kommunismus des Leitenden Lichts.
* Wir haben unsere Stellung zum sowjetischen Revisionismus aktualisiert. Obwohl wir imperialistische Tendenzen in der sowjetischen Außenpolitik nicht leugnen, glauben wir nicht länger, dass eine ausgereifte kapitalistische Restauration vor 1991 stattgefunden hat. Lies den gesamten Artikel hier: https://deutsch.llco.org/sowjetischen-revisionismus-verstehen/
** Wir haben unsere Stellung zur Arbeiteraristokratie aktualisiert. Die generelle Population an Lohnbeziehern in der Ersten Welt ist eine besondere Sektion der Arbeiterklasse, eine Arbeiteraristokratie. Obwohl sie technisch gesehen keine Kapitalisten sind, profitieren sie dermaßen vom Imperialismus, dass sie sich eher mit der Kapitalistenklasse zusammentun würden als mit den Ausgebeuteten der sogenannten Dritten Welt.