Inwiefern sich der Kapitalismus nicht verändert hat

Inwiefern sich der Kapitalismus nicht verändert hat

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Zuletzt aktualisiert am 15.09.2020

„Sollen sie doch Kuchen essen!“ Diese Reaktion auf die Feststellung, dass es dem Volk an Brot mangle, wurde angeblich von der letzten französischen Monarchin vor der bürgerlichen Revolution 1789 geäußert. Dieser Ausspruch kann als Ignoranz interpretiert werden, erzeugt durch das abgeschottete Leben einer Adligen, der Ausspruch kann aber auch von der Ignoranz zeugen, die in vielen von uns steckt, nämlich dass stets von sich und der eigenen Situation ausgegangen und diese auf den Rest der Menschheit projiziert wird. Man neigt in unseren Gefilden oftmals dazu, sich selbst für den Durchschnittsmenschen zu halten, obwohl das genaue Gegenteil der Fall ist. Jeder, der in Deutschland, den USA oder in einem anderen Erstweltland lebt, gehört einer Minderheit an, die nicht mehr als 10% der Menschheit ausmacht. Der wirkliche Durchschnittsmensch hat z.B. ein Einkommen von weniger als 2 bis 3 Dollar pro Tag, und das können die Wenigsten in der Ersten Welt von sich behaupten. Durch diese Verwechslung wird man gezwungenermaßen auch auf falsche Schlüsse kommen. Viele Apologeten des Kapitalismus setzten ihre Argumente genau auf diesen wackligen Stuhl. Sie vergleichen den Frühkapitalismus, wie er von Marx untersucht und beschrieben worden ist, mit der heutigen Phase des Imperialismus-Kapitalismus. Sie erkennen zwar die Schrecken und das Leid, das jene Form des Kapitalismus über die Welt gebracht hat:

„Der junge Kapitalismus zeigte sich als eine ruchlose Veranstaltung, die für den Profit Massenelend und Massensterben hinnahm.“

Diese Beschreibung des „schrankenlosen Kapitalismus“ ist natürlich richtig, dabei wird aber immer impliziert, dass sich der Kapitalismus in diesem Punkt geändert habe. Es herrscht die Meinung, dass der Kapitalismus des Massenelends verschwunden sei. Und für 10% der Menschheit, welche dieses Gefühl teilen, gelten tatsächlich andere Bedingungen. Und die Bürgerlichen können uns sogar sagen, wie das zustande gekommen ist:

„Die Nachkriegszeit begann mit einer Sozialdemokratisierung in Europa. In der Bundesrepublik regierte zwar lange die CDU, aber sie entwickelte mit den Unternehmen den „rheinischen Kapitalismus“, der ein sozialdemokratisch gezähmter Kapitalismus war. Politik und Wirtschaft sorgten dafür, dass sich der Wohlstand relativ gleichmäßig verteilte.“

Der Autor des zitierten Spiegel-Artikels hat scharfsinnig erfasst, dass sich die bürgerlichen Parteien in der Nachkriegszeit der sozialdemokratischen Politik annehmen mussten. Und warum? Einerseits, weil es „hinter der Mauer“ eine Alternative zum Kapitalismus gab, andererseits „hatte die Wirtschaft ein großes Interesse an einer zufriedener Bevölkerung und an einem stabilen Staat, der der Bedrohung aus dem Osten widerstehen konnte“. Was nun aber gerne ausgeklammert wird, ist, dass diese Entwicklung nicht auf der ganzen Welt stattgefunden hat. Das Elend hat nicht generell abgenommen, im Gegenteil. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es 2 Milliarden Menschen, heute sind es bereits 7 Milliarden. Die Weltbevölkerung hat sich also mehr als verdoppelt, gleichzeitig hat sich damit aber auch das Elend vervielfacht. Es hungern derzeit 821 Millionen Menschen, 9 Millionen Menschen sterben pro Jahr an Hunger. Und noch immer leiden und sterben Millionen Menschen an heilbaren Krankheiten. Für den Durchschnittsmenschen herrschen noch immer dieselben elenden Lebensumstände wie zu Marx’ Zeiten. Das Verhältnis von neun Zehnteln der Gesellschaft, die für das Wohl des anderen Zehntels ausgebeutet und in Armut leben, besteht noch immer. Und es muss bestehen. Der Kapitalismus braucht diese Ungleichheit. Jedem Bürgerlichen ist das vollends bewusst:

„Ein Grundprinzip des Kapitalismus ist der Wettbewerb, also das Streben nach einem Unterschied, nach Ungleichheit.“

Laut demselben Autor ist das „Grundprinzip der Demokratie die Gleichheit“. Das Witzige dabei ist, dass, obwohl sich so gesehen Demokratie und Kapitalismus widersprechen müssten, an einem Miteinander der beiden festgehalten wird. Es wird gar fantasiert, dass „der Kapitalismus den Wohlstand von Vielen“ schaffen könne. Auf eine Weise, die nicht von ihm intendiert wurde, hat der Autor damit Recht. Mit der Zunahme der Weltbevölkerung und damit der Zunahme des Elends hat auch die Zahl der Begüterten zugenommen. Durch die geografische Verschiebung des Elends in die Dritte Welt konnte ein Wohlstand für Viele entstehen, aber nur in der Ersten Welt und dadurch nur für 10% der Menschheit.
Wer in der Ersten Welt lebt, lebt in einem Umfeld, das vom Kapitalismus profitiert hat. Die Situation der heutigen Generation in der Ersten Welt hat sich im Vergleich zur Situation ihrer Großeltern dramatisch verbessert. Dieser höhere Lebensstandard hat aber einen Preis, der nicht von den Profiteuren gezahlt wird. Dass die Bevölkerung der Dritten Welt im gleichen Zeitraum derart angestiegen ist, kann kein Zufall sein. Das Elend der Dritten Welt, das direkt vergleichbar ist mit dem Elend der Arbeiterklasse zu Marx’ Zeiten, hat sich dabei auf eine ungeheuer große Bevölkerungsmasse ausgedehnt. Im Gegensatz dazu hat sich das Los der Arbeiter in der Ersten Welt dank dem Imperialismus, der sie an der Ausbeutung der Dritten Welt teilhaben lässt, und der Sozialdemokratie, die den gestohlenen Reichtum einigermaßen gleichmäßig aufteilt, spürbar verbessert. Der Kapitalismus verlangt Ausbeutung und Ungleichheit. Demokratie ist dabei nur unter den Gleich-Reichen möglich. An Wohlstand für wirklich alle ist im Kapitalismus nicht zu denken. Die kommunistische Bewegung ist an ihren Tiefpunkt angelangt. Der Sozialismus ist dennoch nicht gescheitert. Die Leitenden Lichter haben die sozialistische Theorie weiterentwickelt, wodurch die Veränderungen des gegenwärtigen kapitalistischen Systems erfasst werden können. Wir können uns wieder selbstbewusst Kommunisten nennen. Wir stehen hinter einer wissenschaftlichen Theorie. Die nächste Welle der Revolution steht bevor. Machen wir uns bereit. Sei dabei. Werde ein Leitendes Licht.

Quellen:

Dirk Kurbjuweit: „Rückkehr der Ruchlosen“, Der Spiegel 52/2011 (Alle Zitate stammen aus diesem Artikel)

Karl Popper: „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band II: Falsche Propheten. Hegel, Marx und die Folgen“, Mohr Siebeck 2003

Karl Marx/Friedrich Engels: „Das Manifest der Kommunistischen Partei“, 1848

http://de.wikipedia.org/wiki/Welthunger

https://www.foodaidfoundation.org/world-hunger-statistics.html

https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/globalisierung/52699/bevoelkerungsentwicklung

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