Die Hitze wird dich zuerst umbringen – eine Buchrezension
Janelle Velina
Deutsche Übersetzung von Klaus Markstein
17. November 2024
LLCO.org
Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, daß sie damit den Grund zur jetzigen Verödung jener Länder legten, indem sie ihnen mit den Wäldern die Ansammlungszentren und Behälter der Feuchtigkeit entzogen. Die Italiener der Alpen, als sie die am Nordabhang des Gebirgs so sorgsam gehegten Tannenwälder am Südabhang vernutzten, ahnten nicht, daß sie damit der Sennwirtschaft auf ihrem Gebiet die Wurzel abgruben; sie ahnten noch weniger, daß sie dadurch ihren Bergquellen für den größten Teil des Jahrs das Wasser entzogen, damit diese zur Regenzeit um so wütendere Flutströme über die Ebene ergießen könnten. Die Verbreiter der Kartoffel in Europa wußten nicht, daß sie mit den mehligen Knollen zugleich die Skrofelkrankheit verbreiteten. Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können (Engels, 1962 [1925]).
The Heat Will Kill You First: Life and Death On a Scorched Planet (Die Hitze wird dich zuerst umbringen: Leben und Tod auf einem versengten Planeten; von uns aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt – Anm. d. Übersetzers) ist ein Sachbuch des Journalisten und Autors Jeff Goodell vom Juli 2023. Das Buch handelt davon, wie der Klimawandel unseren Planeten schnell und auf extreme Weise verändert. Es untersucht diese aktuelle Krise anhand von Hitzewellen als große, zusammenhängende Fallstudie. Außerdem zeigt es – indem es die Arbeiten von Klimaforschern und –forscherinnen zitiert –, wie der Klimawandel in Form von Hitzewellen noch stärker zur Geltung kommt. Der Autor möchte seine Leser und Leserinnen davon überzeugen, anders über Hitze nachzudenken, damit sie deutlicher die soziale Dimension dieses Umweltproblems erkennen. Das Buch zeigt auf, warum wir ihre Tödlichkeit nicht unterschätzen sollten. Goodell will die Folgen von Temperaturen deutlich machen, die “zu weit und zu schnell” (S. 20; von uns aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt – Anm. d. Übersetzers) steigen, und dass diese schnelle, vom Klimawandel verursachte Extremhitze unseren Planeten unbewohnbar machen wird. Seine Hauptbotschaft ist daher, dass der Klimawandel Hitzewellen intensiver, häufiger und tödlicher werden lässt, und dass sie folglich langfristig als Gefahr für die Menschheit angesehen werden sollten. Vor diesem Hintergrund lautet die Kernaussage des Buchs, dass alles auf Erden – alles Leben, und auch alle leblosen Dinge wie unsere Handys und Stromkabel – ein Temperaturlimit haben; und dass wir nicht weit von einem weiteren Massenaussterben entfernt sind, von dem sich die Erde eventuell erst in vielen Jahren erholen wird, wenn überhaupt.
Die wissenschaftlichen Fakten
Um sein Ziel zu erreichen, verbindet Goodell leicht verständliche, wissenschaftliche Erklärungen, literarischen Journalismus und Sozialkritik, mit der er seine Argumente illustriert und unterstützt. Die Inhalte reichen von der Zusammenfassung echter Nachrichtenberichterstattung zu hitzebedingten Toden über anthropologische und paläoanthropologische Forschung bis hin zu Erkenntnissen der Klimaforschung. Gerade Kapitel 2 erläutert menschliche und tierische Evolution sowie die geologische Entstehung und Entwicklung der Erde. Dies ist wichtig, um die Entwicklung und Anpassung von Spezies zu verstehen. Im Laufe dieses Prozesses begannen Lebewesen schließlich auch, selbst ihre Körpertemperatur zu regulieren, um sich besser den Temperaturen ihrer Umwelt widersetzen zu können. Goodell betont aber, dass zwischen Evolution und Klimawandel ein bedeutender Unterschied besteht: während Evolution ein gradueller Veränderungsprozess ist, findet der Klimawandel viel zu schnell statt, als dass natürliche Auslese mithalten könnte.
Als Ergänzung dazu erzählt der Autor von einer Klimakatastrophe in 2013, die umgangssprachlich als ‘the Blob’ (S. 144-146) bezeichnet wird. Anhand dieses Beispiels erklärt er, dass Hitzewellen nicht nur an Land stattfinden, sondern auch eng mit der Erwärmung der Ozeane verknüpft sind. Alles Leben auf der Erde ist mit den Ozeanen verbunden, und was in ihnen passiert, könnte riesige Auswirkungen auf die Zukunft unseres Planeten haben. Am Ende des Kapitels betont er noch einmal, dass fossile Treibstoffe und CO2-Emissionen große Probleme darstellen, da sie die Chemie der natürlichen Strukturen und Biome auf Erden drastisch verändern, darunter auch der Korallenriffe; und dass diese schnellen Veränderungen so rasch von statten gehen, dass Lebensformen sich nicht entsprechend anpassen können. Zwei Kapitel später, in Kapitel 9 – das den wahrscheinlich passenden Titel “Ice At the End of the World” (Eis am Ende der Welt) trägt – wiederholt Goodell noch einmal das Argument, dass Hitzewellen mit der Erwärmung unserer Ozeane zusammenhängen und warum dies ein alarmierendes Problem darstellt. Es sollte erwähnt werden, dass Kapitel 9 wie eine Reihe von Tagebucheinträgen gestaltet ist, in denen er seine Beobachtungen und Erinnerungen (unterfüttert mit Kommentaren und wissenschaftlichen Erklärungen) während einer Forschungsexpedition in die Antarktis in 2019 darstellt, die er mit einem Team aus Klimawissenschaftlern und –wissenschaftlerinnen unternommen hat. Wichtiger ist aber, dass sich dieses Kapitel mit der Entgletscherung der Westantarktis befasst, besonders des Thwaites-Gletschers, wo die sich erwärmenden Ozeanströmungen unter die Eisdecke und das Schelfeis fließen und es ausdünnen. Wenn diese Eisdecken und Gletscher schmelzen, könnte der resultierende Anstieg des Meeresspiegels katastrophale 200 Fuß (etwa 61 Meter) erreichen. Das Kapitel schließt mit dem Zitat einer der Forschenden, die Goodell während der Reise interviewte, um seiner Leserschaft dort etwas Perspektive zu geben, wo eine einfache Paraphrasierung nicht ausgereicht hätte: “Diesen Gletscher zu sehen, lässt dich begreifen, dass Dinge, von denen du dachtest, sie würden ewig da sein, irgendwann vielleicht nicht mehr da sein werden. Dieser Gedanke ist ziemlich schwer in den Kopf zu bekommen” (S. 196; von uns aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt – Anm. d. Übersetzers).
Kapitel 14 greift das Thema sich erwärmender Ozeane noch einmal auf. Der Titel, “The White Bear” (der weiße Bär), bezieht sich offensichtlich auf Eisbären. Goodell greift die Klimadebatte um Eisbären auf, aber ermutigt seine Leserschaft dazu, sie als mehr zu betrachten als nur als die “süßen, knuddeligen” (von uns aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt – Anm. d. Übersetzers) Maskotchen, zu denen sie gemacht wurden, um herzerwärmende Reaktionen zu provozieren, und vermeidet dadurch ein Klischee. Er beleuchtet den Kontext der klimaabhängigen Probleme und Leiden dieses Spitzenräubers, indem er die Rolle der Erwärmung der Arktis diskutiert, ihres natürlichen Lebensraums. Um weiter zu verdeutlichen, dass klimawandelbedingte Hitze unseren Planeten rapide verändert, erinnert Goodell seine Leserschaft daran, dass das verschwindende Meereis der Arktis und das Abschmelzen des Permafrosts nicht nur ein Symbol für den Klimawandel sind, sondern auch Konsequenzen für den ganzen Planeten haben werden:
Eine wärmere Arktis verändert das thermodynamische Gleichgewicht der Erdatmosphäre und dadurch wiederum die Druckgradienten, die zu Hitzewellen führen. Dies bringt auch die Regenverteilung durcheinander, besonders in Europa und Asien, was große Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion hat. Schnell schmelzende Eisschichten in der Arktis beschleunigen den Anstieg des Meeresspiegels, was Küstenstädte auf der ganzen Welt überschwemmen, damit Milliarden Dollar an Grundeigentum zerstören und Millionen von Menschen dazu zwingen wird, in höheren Gebieten zu siedeln.
[…]
… eine sich erwärmende Arktis beschleunigt außerdem das Schmelzen des Permafrosts, was Unmengen an Methan freisetzen wird, das als Treibhausgas 25-mal stärker ist als CO2. Mehr Methan bedeutet mehr Erwärmung, was wiederum mehr Methan freisetzen wird – wenn Wissenschaffende von einer bevorstehenden Klimakatastrophe sprechen, dann ist das eines der Szenarien, das sie am meisten beunruhigt. Im arktischen Permafrostboden sind übrigens nicht nur Methan und Mammutknochen versiegelt – es gibt dort auch Viren und Krankheitserreger aus längst vergangenen Zeiten, die, wie ich in einem der vorherigen Kapitel erwähnt habe, eine globale Pandemie auslösen könnten, wenn sie einmal auftauen und in unsere Welt freigesetzt werden… (S. 293-294; von uns aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt – Anm. d. Übersetzers)
Mit diesen wissenschaftlichen Fakten über die besorgniserregenden Arten und Weisen im Hinterkopf, auf die sich unser Planet verändert, könnte man sich die Frage stellen: Wie wirkt sich dies auf die Klasseninteressen der proletarischen Massen weltweit aus? Warum sollte diese Forschung Marxisten, Marxistinnen und die Arbeiterbewegung etwas angehen? Wie verbindet man sie mit dem globalen Kampf der arbeitenden Klasse?
Hitze und sozialer Mord
Zunächst erkundet der Autor den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Infektionskrankheiten – darunter auch COVID-19, das unverhältnismäßig viele Infektionen und Todesopfer unter den Armen und in der arbeitenden Klasse forderte. In Kapitel 10 sagt er: “Je mehr Kontakt diese Fledermäuse mit anderen Tieren und Menschen haben, desto mehr Gelegenheiten haben die Viren, die sie in sich haben, sich zu übertragen” (S. 206; von uns aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt – Anm. d. Übersetzers). Fledermäuse können so viele tödliche Viren in sich tragen, weil ihre Immunsysteme darauf ausgelegt sind, Infektionen auszuhalten, ohne dass die Tiere krank werden. Darüber hinaus werden sie im Durchschnitt 40 Jahre alt und sind äußerst mobil. Dies ist für den Autor wichtig zu erwähnen, denn wenn sich das Klima weiter erwärmt, können sie sich leichter woanders ansiedeln und werden dies sogar tun müssen. Der Klimawandel wirkt sich negativ auf ihre Nahrungsquellen und ihren Lebensraum aus und verursacht den Tieren somit mehr physiologischen Stress. Dadurch geraten sie häufiger in Kontakt mit Menschen (und Tieren), was wiederum verschiedenen Viren mehr Chancen zur Übertragung gibt. Goodell zitiert die Epidemiologin Raina Plowright: “Je schneller sich das Klima verändert, desto mehr wächst das Risiko” (S. 206; von uns aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt – Anm. d. Übersetzers). Das sollte als eine Bedrohung des kollektiven Wohlbefindens und der Lebensstandards der globalen arbeitenden Klasse wahrgenommen werden, die durch die Kapitalistenklasse und ihre Profitinteressen noch verschärft wird.
In Anknüpfung daran diskutiert Goodell die Auswirkungen der Hitze auf die Gesundheit und die Sicherheit von arbeitenden Menschen. Das entsprechende Kapitel trägt den Namen “The Sweat Economy” (wörtlich: “die Schweißwirtschaft” – Anm. d. Übersetzers). Für alle Marxisten und Marxistinnen, die dieses Buch lesen, ist es gut zu wissen, dass dieses Kapitel an das erinnert, was Engels in seinem Buch Die Lage der arbeitenden Klasse in England als ‘sozialen Mord‘ bezeichnet. Sozialer Mord heißt, “daß sie [die Gesellschaft] die Arbeiter in eine Lage versetzt hat, in der diese nicht gesund bleiben und nicht lange leben können; daß sie so das Leben dieser Arbeiter stückweise, allmählich untergräbt und sie so vor der Zeit ins Grab bringt” (S. 325). Der Autor sagte in der Vorrede des Buchs, dass die meisten armen und arbeitenden Menschen sich einfach nicht den Luxus eines Bunkers leisten oder so oft sie wollen in ein kühleres Zuhause ziehen können. Und wenn die Armen aus dem Globalen Süden aus ihren Heimatländern als Klimaflüchtlinge fliehen, dann sind es in erster Linie wirtschaftliche Faktoren, die sie dazu zwingen, beispielsweise weil die landwirtschaftliche Produktivität wegen des Klimawandels sinkt. Dies erinnert uns an Marx Worte:
Auf der anderen Seite reduziert das große Grundeigentum die agrikole Bevölkerung auf ein beständig sinkendes Minimum und setzt ihr eine beständig wachsende, in großen Städten zusammengedrängte Industriebevölkerung entgegen; es erzeugt dadurch Bedingungen, die einen unheilbaren Riß hervorrufen in dem Zusammenhang des gesellschaftlichen und durch die Naturgesetze des Lebens vorgeschriebnen Stoffwechsels, infolge wovon die Bodenkraft verschleudert und diese Verschleuderung durch den Handel weit über die Grenzen des eignen Landes hinausgetragen wird (Marx 1983 [1894], S. 821).
Aber dieses spezielle Kapitel offenbahrt ein noch tieferes Verständnis darüber, dass Klasse in der Tat eine große Rolle im Klimawandel spielt, da es oft die schuftenden und arbeitenden Massen sind, welche die Hauptlast tragen – entweder weil sie zu lange draußen unter extremer Hitze in der Landwirtschaft arbeiten, als Postangestellte im Sommer von und zu einem kaum gekühlten Transporter laufen oder in einem schlecht belüfteten Lagerhaus ohne Klimaanlage schuften müssen. Goodell geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er das Gerücht widerlegt, dass Mexikaner und Mexikanerinnen, und andere rassifizierte Menschen aus generell wärmeren geografischen Regionen oder mit dunklerer Haut, Hitze und längere Sonneneinstrahlung besser aushielten als Weiße. Dieses Gerücht, wie er erläutert, wird auch heute noch eingesetzt, um migrantische Arbeitskräfte auszubeuten, die vor allem arbeitsintensiven Beschäftigungen im Freien nachgehen (besonders solche, die viele Menschen nicht machen wollen, und in denen Kapitalisten nur wenige bis keine staatlichen Regulationen oder Widerstand durch Gewerkschaften wollen). Er macht sehr deutlich, dass Menschen mit dunklerer Haut trotzdem Hautschädigungen, Kautkrebs, Hitzschläge oder sogar Tod durch Hitzeerschöpfung erleiden können. Er bespricht Fälle von migrantischen Arbeitskräften aus Mexiko in den Vereinigten Staaten, die diesen Gefahren ausgesetzt sind – und deren Lage durch weniger Arbeitsschutz und einer Bezahlung unter dem Mindestlohn noch weiter verschlimmert wird. Er erklärt, dass dieses Gerücht, dieses rassistische Konstrukt um bestimmte Ethnien oder dunklere Haut und ihre Verträglichkeit von Sonneneinstrahlung seinen Ursprünge im atlantischen Sklavenhandel hat und in der Geschichte unter anderen genutzt wurde, um Sklavenarbeit zu rechtfertigen. Um das ganze abzurunden, entkräftet er noch die übliche Darstellung Mexikos durch Hollywood als durch und durch sengende Wüste, indem er erklärt, dass Mexiko tatsächlich eine große Anzahl verschiedener Ökosysteme beheimatet; gleichzeitig das Land aber auch mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen hat, wie steigende Temperaturen, die wie an vielen Orten eigentlich viel zu hoch für die Region sind. Ein weiterer Kernpunkt dieses Abschnitts ist, wie leicht man vergessen oder vollständig ausblenden kann, dass der Klimawandel und die mit ihm einhergehende extreme Hitze in der Tat alle Menschen gleichermaßen bedrohen, nicht nur weiße Menschen in Europa oder Nordamerika, und dass Umweltrassismus, der seine Ursrpünge im Kolonialismus und Imperialismus hat, nicht nur existiert, sondern sich auch eindeutig in der modernen Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte zu erkennen gibt.
Später, in einem anderen Kapitel (Kap. 12, “What You Can’t See Won’t Hurt You” – deutsch: “Was du nicht sehen kannst, kann dir nicht wehtun”), gibt sich Goodell Mühe, zu betonen, dass die extreme Hitze nicht etwas ist, was die arbeitenden Massen sich selbst eingebrockt haben. Sie werden nämlich viel wahrscheinlicher darunter leiden, während die Reichen die Verschmutzer sind. Gemessen pro Kopf produzieren die Massen im Globalen Süden nicht einmal ein 15-tel so viel CO2 wie die reichsten Amerikaner und Amerikanerinnen. Als Beispiel erwähnt Goodell, dass Pakistan nur etwa ein halbes Prozent der globalen CO2-Emissionen produziert. Es ist also erfrischend zu sehen, dass der Autor weder hinter der üblichen “grünen” Idee steht, dass individuelle Konsumentscheidungen die Umwelt retten werden, noch hinter dem neo-malthusianischen Narrativ, das oft in den Mainstreammedien auftaucht. Es ist außerdem erfrischend, dass seine Erklärungen nicht zu sehr oder allein auf einer Kritik individueller Konsumentscheidungen beruhen, und dass er stattdessen die Klimakrise auf einer breiteren, systemischen Ebene analysiert.
Oberflächliche Lösungen und das Paradox des “Öko-Kapitalismus”
Eine weitere neue Idee, die Godell seiner Leserschaft präsentiert, findet sich in Kap. 11, “Cheap Cold Air” (Billige kalte Luft). Es fordert uns heraus, anders und kritischer über das Vermächtnis von Klimaanlagen nachzudenken, einem lukrativen Geschäftsmodell und einem Allheilmittel, “…welches den Bau-Boom, nicht nur in Texas, sondern im ganzen Süden [der USA – Anm. d. Übersetzers] ermöglicht hat. Auf Wiedersehen große Verandas und Durchzugbelüftung. Hallo massentaugliche Vorstadtplanung mit billiger Bauweise, niedrigen Decken und absolut keinem Durchzug” (S. 244; von uns aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt – Anm. d. Übersetzers). Er redet noch ausführlicher über die genauen Nachteile von Klimaanlagen:
Das Aufkommen von Klimaanlagen begünstigte den massenhaften Bau von verschlossenen Boxen, in denen der einzige Luftzug durch die gefilterten Schlitze einer Klimaanlage strömt. So muss es nicht sein. Schauen Sie sich irgendein altes Gebäude in einer heißen Gegend an, egal ob auf Sizilien, in Marrakesch oder in Teheran. Architekten verstanden die Wichtigkeit von Schatten, Luftzug, Dämmung, hellen Farben. Sie richteten die Gebäude so aus, dass sie kühle Brisen einfingen und die schlimmste Hitze des Nachmittags ableiteten. Sie bauten mit dicken Wänden und weißen Dächern und Öffnungen über den Türen, um den Luftzug anzuregen. Jeder, der jemals ein paar Minuten in einem toskaner Lehmziegelhaus verbracht hat, oder durch die engen Straßen der Altstadt von Seville gelaufen ist, weiß, wie gut diese Bauweisen funktionieren. Aber all dieses über Jahrhunderte praktischer Erfahrung angesammelte Wissen darüber, wie man mit Hitze umgeht, wird all zu oft ignoriert. In diesem Sinne sind Klimaanlagen nicht nur eine Technologie des persönlichen Komforts; sie sind auch eine Technologie des Vergessens” (S. 235; von uns aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt – Anm. d. Übersetzers).
Zweifellos haben Klimaanlagen, gelinde gesagt, ein kompliziertes Vermächtnis. Natürlich sollte niemand in seinem Zuhause unter Hitze leiden müssen, und der Autor möchte ganz sicher nicht sagen, dass die Menschen auf der Stelle ihre Klimaanlagen abstellen müssen; aber es ist offensichtlich, dass mit dem Aufkommen von Klimaanlagen Immobilieninvestoren und –investorinnen die Chance ergriffen haben, am Design zu sparen. Während er in diesem Kapitel die Geschichte von Klimaanlagen nacherzählt, hebt er die Energieprozesse hervor, die in Klimaanlagen zum Einsatz kommen, besonders diese beiden Bestandteile: Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) und Fluorkohlenwasserstoffe (FKWs). FCKWs – Chemikalien, die als Kühlmittel verwendet werden – waren früher in den meisten, wenn nicht sogar allen, Klimaanlagen, Kühltruhen, Kühlschränken und Sprühdosen zu finden. Aber 1974 veröffentlichte eine Gruppe Forschender Ergebnisse, die nahelegten, dass FCKWs die Ozonschicht der Erdeatmosphäre ausdünnen könnten, die uns gegen die schädlichen Auswirkungen der Sonne schützt. 1985 wurde über der Antarktis ein Loch in der Atmosphäre gefunden, was zu öffentlichem Entsetzen und der Verabschiedung des Montreal-Protokolls von 1987 führte, mit dem FCKWs halbiert werden sollten. FCKWs sind nun in 197 Ländern verboten und die Ozonschicht hat sich langsam erholt. Allerdings wurden FCKWs durch FKWs ersetzt, die Kohlenstoff, Wasserstoff und Fluor enthalten. Sie zerstören zwar nicht die Ozonschicht, aber sie sind Treibhausgase und als solche bis zu 15-mal stärker als CO2. Klimaanlagen verbrennen keine FKWs, aber ein Problem entsteht, wenn das Gas während der Reparatur oder der Entsorgung aus ihnen austritt, oder wenn die Rohre in den Geräten alt und undicht werden. FKWs werden während der nächsten Jahrzehnte abgeschafft werden, aber Klimaanlagen, die sie enthalten, werden noch eine Weile länger im Umlauf sein. Viele Klimaanlagen verbrauchen außerdem große Mengen an Energie – weltweit etwa 20 % der Energie, die in Gebäuden verbraucht wird – was bedeutend zum Ausstoß von Treibhausgasen beiträgt. Weil der Planet sich erwärmt, wird man immer öfter die Klimaanlage einschalten, was wiederum bedeutet, dass mehr Energie verbraucht wird. Und weil ein Teil dieser Energie mit fossilen Brennstoffen hergestellt wird, gelangen mehr Treibhausgase in die Atmosphäre, was die Klimaerwärmung weiter beschleunigt. Das Problem ist sogar noch schlimmer in älteren, ärmeren Nachbarschaften mit alten, ineffizienten Fensterklimaanlagen, die aus vielen Gebäuden herausragen und die Hitze aus dem Inneren saugen, um sie hinaus auf die Straße zu blasen. Die globale Abhängigkeit von Klimaanlagen ist so immens, dass viele Leute nicht einmal wirklich darüber nachdenken. Das geht so weit, dass sie die Gefahr eines partiellen Stromausfalls oder gar eines Blackouts erhöhen, weil die Tendenz besteht, die Stärke der Klimaanlagen während Hitzewellen zu erhöhen – und ein massiver Stromausfall hätte viele Tote, besonders unter den Armen und Schwachen zur Folge. Goodells Kritik an Klimaanlagen könnte einigen verständlicherweise als harsch erscheinen, aber sie ist mehr als nötig, und sie kann sicherlich zum Bau von wirklich nachhaltigem, nicht profitorientiertem Wohnraum in einer sozialistischen Zukunft beitragen. Er vermeidet immer wieder erfolgreich, die Schuld allein auf das Individuum zu schieben, und das zeigt sich, wenn er darstellt, wie die profitgetriebenen Entscheidungen der kapitalistischen Immobilien– und Klimaanlagenindustrie uns so abhängig von künstlicher Kühlung werden ließen, dass es beinahe einer Sucht gleichkommt.
Diese globale Sucht nach ‘billiger, kalter Luft’, wie Goodell sie nennt, sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man Kapitel 13, “Roast, Flee, or Act” (Röste, fliehe oder handle) liest. Darin fasst er die schrecklichen Todesfälle zusammen, die sich während der neun Tage andauernden Hitzewelle im August 2003 in Paris ereigneten. Die ikonischen Zinkdächer der alten Gebäude von Paris, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut wurden, sind zwar für viele schön anzusehen, wurden aber mit Sicherheit nicht für eine solche Epoche extremer Hitze erbaut. “Wie jede andere Stadt auf der Welt wurde Paris von Leuten erbaut, die dachten, dass das Klima der Erde sich nie verändern würde” (S. 263; von uns aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt – Anm. d. Übersetzers), schreibt Goodell. Nicht nur waren diese Gebäude schlecht belüftet und schlecht isoliert, sie wurden sogar noch tödlicher durch die Zinkdächer, welche die Hitze im Grunde wie Öfen weiterleiteten und viele Bewohnende buchstäblich zu Tode kochten – besonders die in den oberen Geschosse. Wieder einmal betont er, dass Häuser so gebaut oder umgerüstet werden könnten, dass sie überhaupt keine künstliche Kühlung benötigen und auf nachhaltige Weise der Hitze (und der Kälte) standhalten können. Aber im Fall von Paris, und vieler anderer historischer Städte mit markenten Strukturen, wäre eine Umrüstung – die große öffentliche Bauprojekte bedeuten würde, um die Städte insgesamt grüner zu machen – eine Herausforderung, namentlich wegen der Kosten, Instandhaltung, Stabilitätsbedenken, und unnachgiebigen Denkmalschützenden. Neben dem Rätsel, was man mit den Zinkdächern von Paris machen sollte, bespricht er auch das massenhafte Pflanzen neuer Bäume, was ähnlichen Herausforderungen begegnet. Bäume zu pflanzen, obwohl es wünschenswert und löblich ist – und natürlich auch eine gute Gelegenheit für Pressefotos von Politikern und Politikerinnen, wie Goodell schnell ergänzt – wird nicht immer wirksam sein, weil man auch darauf achten muss, welche Bäume für bestimmte Umgebungen geeignet sind und mit wechselnden Temperaturen umgehen können. Dann ist da noch das Problem, dass man sich um sie kümmern muss, besonders um die pflegebedürftigeren. Der wichtigste Punkt ist jedoch: Goodell erklärt, dass Bäume zu pflanzen und grüne Stadtverschönerungen in unserer heutigen Gesellschaft grundsätzlich paradox sind, weil sie den Eindruck erwecken, wir könnten ganz einfach Natur erschaffen oder Ökosysteme ersetzen, die zerstört wurden. Als Beispiel zeigt er nach Singapur und seinen massiven Grünflächenplan, der es wie einen Dschungel aussehen lässt:
All die Grünflächen helfen definitiv, dass Singapur für die dort lebenden Menschen kühl bleibt. Aber man kann schwer argumentieren, dass Städte wie Singapur, die durch ihre Ölraffinerien und über den ganzen Globus spannenden Lieferketten massive ökologische Fußabdrücke haben, tatsächlich zur Kühlung des Planeten beitragen. “Singapur kann sich selbst in einen Garten verwandeln, weil die Farm und die Mine immer irgendwo anders sind”, schreibt Richard Weller, ein Professor für Landschaftsarchitektur an der Universtity of Pennsylvania. “Ich würde Singapur als einen Fall von Gucci-Biodiversität bezeichnen, der vom Fakt ablenkt, dass es Palmölplantagen in Kalimantan finanziert, einem der letzten großen Regenwälder der Erde.” (S. 280; von uns aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt – Anm. d. Übersetzers)
Der Autor erwähnt allerdings nicht den Fakt, dass die meisten, wenn nicht sogar alle, Regierungsebenen unwillens sind, viel Mühe für diese ambitionierten Projekte aufzuwenden, trotz der gutgemeinten Bemühungen wohlgesonnener, umweltbewusster Architekten und Stadtplanerinnen. Vor allem liegt das am Profitstreben und an der Kapitalistenklasse, der diese Regierungen dienen. Bestenfalls werden sie halbherzige Maßnahmen ergreifen, die gerade einmal den Mindestanforderungen gerecht werden, wenn es um den Kampf gegen den Klimawandel geht, wenn sie ihn nicht offen leugnen. Goodell stimmt zu, dass wir politische Maßnahmen ergreifen müssen und dass der aktuelle Status Quo langfristig keine funktionierende Lösung für einen sich schnell erwärmenden Planeten darstellt; und dennoch nennt er nicht namentlich den Kapitalismus oder die Bourgeoisie. Das ist eine Schande, weil wir das ganze Buch hinweg sehen können, warum “Öko-Kapitalismus” ein Widerspruch in sich ist.
Schluss
Ich würde Marxisten und Marxistinnen wärmstens empfehlen, dieses Buch auf ihre Leselisten zu setzen und es als literarisches Hilfsmittel in der Aufklärung anderer zu verwenden. Natürlich gibt es den Vorbehalt, dass der Autor selbst, leider, kein Marxist ist und dass er, obwohl er schmerzlich nah heran kommt, nicht explizit den Kapitalismus als das System nennt, das in hohem Maße die Klimakrise beschleunigt hat. Während es Lob verdient, dass er die Klimakrise als systematisches Problem untersucht, anstatt die Last auf individuelle Verantwortung abzuwälzen, ist es dennoch eine verpasste Chance, dass Kapital nicht als grundlegende Ursache genannt wird. Und daher sollten Marxisten und Marxistinnen nicht erwarten, in diesem Buch irgendwelche Aufrufe zur sozialistischen Revolution zu finden. Trotz dieser Versäumnis erfüllt das Buch dennoch überwiegend seinen Zweck. Besonders Marxisten und Marxistinnen sollten dieses Buch als eine von vielen Gelegenheiten zur Aufklärung darüber verwenden, wie soziale Missstände, von Krieg über die bourgeoise Einflussnahme auf die Politik und den Klimawandel, bis hin zu Pandemien, unvermeidbare Konsequenzen des Kapitalismus sind; und um damit weiter zu zeigen, wie der Kapitalismus den Interessen der Mehrheit zuwiderläuft und wie er sich gegen die Umsetzung effektiver Lösungen für bedeutende Probleme positioniert. Genauer gesagt sollten die Konzepte in diesem Buch auch eine Erinnerung für Marxisten und Marxistinnen daran sein, dass sie höchstwahrscheinlich noch während der Übergangsphase des Sozialismus die bestehende Umweltzerstörung zu bewältigen haben werden, die der Kapitalismus ihnen vererbt hat. Diese zu bekämpfen wird uns eine enorme Menge an Arbeit abverlangen. Das Paradox des “Öko-Kapitalismus” im Kontext von Hitzewellen erinnert uns daran, dass der Kapitalismus die Wurzel vieler Probleme ist, die letztlich das Überleben der Menschheit auf Erden zunehmend erschweren werden. Während ärmere Länder bereits heute schwer leiden, können es sich reichere Länder noch leisten, die Klimakatastrophe auszublenden, wie die Beispiele von Klimaanlagen und Singapurs Grünflächenplanung gezeigt haben. Aber diese Probleme können nur eine gewisse Zeit “aus den Augen, aus dem Sinn” bleiben. Die LLCO hat schon immer die Position vertreten, dass Umweltschutz und der Kampf gegen den Klimawandel integrale Bestandteile der Befreiung der arbeitenden Klasse und der unterdrückten Menschen auf der ganzen Welt sind. Daher müssen wir noch einmal betonen, dass der Kampf gegen den Klimawandel unter dem Banner des Leading Light-Kommunismus und der Führung der marxistischen Revolutionären Wissenschaft, die das Ende des Kapitalismus anstrebt, der Weg zur Rettung der Menschheit vor dem nächsten großen Massenaussterben ist.
Bibliographie
Engels, F. (1962 [1925]). Dialektik der Natur. In Karl Marx—Friedrich Engels—Werke (Bd. 20). Dietz Verlag. http://www.mlwerke.de/me/me20/me20_305.htm
Engels, F. (1972 [1845]). Die Lage der arbeitenden Klasse in England. In Karl Marx—Friedrich Engels—Werke (Bd. 2). Dietz Verlag. http://www.mlwerke.de/me/me02/me02_225.htm
Goodell, J. (2023). The heat will kill you first: Life and death on a scorched planet (First edition). Little, Brown and Company.
Marx, K. (1983 [1894]). Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie (F. Engels, Hrsg.; 1. Aufl., Bd. 3). Dietz Verlag. http://www.mlwerke.de/me/me25/me25_000.htm
Bannerbild: NASA. The Effects of Climate Change triptych. 2024. Left – Mike McMillan/USFS, center – Tomas Castelazo / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0, right – NASA.