Ein kurzer Blick auf einige Fehler von Mao
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Mao Zedong war der größte Revolutionär des letzten Jahrhunderts. Mao führte einen Viertel der Welt dazu, die Ketten des Imperialismus, des Feudalismus und des Kapitalismus abzuwerfen. „China hat sich erhoben!“, verkündete er von den Stufen des Tian’anmen. Ein Viertel der Weltbevölkerung hat sich hinter Maos Revolution gestellt, um eine neue Welt ohne Unterdrückung zu errichten. Aus dieser Erfahrung wurde der Maoismus geboren. Der Maoismus war ein Quantensprung unseres wissenschaftlichen Verständnisses, wie in einer Revolution vorzugehen ist. Obwohl der Maoismus nicht allein von Mao geprägt wurde, dienten seine Schriften als bestimmender Orientierungspunkt. Maos größtes Geschenk an die Menschheit war sein Beitrag zum Maoismus. Der Maoismus war ein entscheidender Schritt zur Entwicklung des Maoismus-Drittweltismus, der bislang höchste Punkt der revolutionären Wissenschaft. Der Maoismus-Drittweltismus führt den globalen Kampf von heute. Wir sind Mao zu größtem Dank verpflichtet. Gleichwohl ist es wichtig, zwischen Mao und dem Maoismus und zwischen Mao und dem Maoismus-Drittweltismus unterscheiden zu können. Mao war keineswegs vollkommen. Trotz all seinen Errungenschaften machte auch er gravierende Fehler. Zum Teil ist der Maoismus-Drittweltismus eine Reaktion auf diese Fehler.
Das Erstweltlertum
Man kann während der ganzen Geschichte der kommunistischen Bewegung beobachten, wie drittweltlerische mit erstweltlerischen Ansichten konkurrieren. Historisch gesehen, war jedoch das Erstweltlertum die dominierende Weltanschauung. Mao übernahm bedauerlicherweise die Lehren der Erstweltler. Er brach nie mit der Auffassung, dass es nur die Minderheit einer Elite in der Ersten Welt ist, welche den Rest, die gewaltige Mehrheit, ausbeutet und unterdrückt. Er brach nie mit der Auffassung, dass die Mehrheit der Menschen der Ersten Welt, einschließlich der Mehrheit der Arbeiterklasse der Ersten Welt, Verbündete der Weltrevolution wären. Besonders deutlich wird dieser Fehler von Maos Bild des amerikanischen Volkes widerspiegelt. Zum Beispiel meint Mao:
„Das chinesische Volk unterstützt ausdrücklich den revolutionären Kampf des amerikanischen Volkes. Ich bin überzeugt, dass das amerikanische Volk, welches sich tapfer schlägt, letztendlich den Sieg erringen wird…“ (1)
„In den Vereinigten Staaten ist es nur die reaktionäre Herrscherclique der Weißen, welche die schwarze Bevölkerung unterdrückt. Sie können in keiner Hinsicht die Arbeiter, Bauern, revolutionären Intellektuellen und andere aufgeklärte Personen repräsentieren, welche die überwältigende Mehrheit der weißen Bevölkerung ausmacht. Im Moment ist es die Handvoll Imperialisten, angeführt durch die USA, und ihre Unterstützer, die Reaktionäre aus den verschiedenen Ländern, welche die Unterdrückung, Aggression und Einschüchterung gegenüber der überwältigenden Mehrheit der Nationen und Völker der Erde forcieren. Sie sind in der Minderheit, wir sind in der Mehrheit. Sie machen allerhöchstens zehn Prozent der 3’000 Millionen Menschen der Welt aus.“ (2)
Zusätzlich begriff Mao nicht, dass der Kampf für eine nationale Befreiung der Schwarzen ein Kampf gegen die weiße Herrschaft sein würde. Stattdessen verstand Mao den Kampf in den USA als einen multinationalen, der Weiße mit einschließt.
„Der Kampf der schwarzen Bevölkerung in den USA wird sich zwangsläufig mit der amerikanischen Arbeiterbewegung vereinigen müssen und dadurch wird schließlich die kriminelle Herrschaft der US-Monopolkapitalistenklasse beendet.“ (3)
Maos erstweltlerisches Gedankengut folgt ihm beständig durchs Leben. Die Kommunistische Partei Chinas imitierte dieses Erstweltlertum dementsprechend den Großteil ihrer Existenz. Während der Zeit von Lin Biao zwischen 1965-1971 verschwand die erstweltlerische Rhetorik der KPCh jedoch bisweilen beinahe vollständig aus ihrem Repertoire. Dies gilt vor allem für die Jahre 1965-1968. Zwar konnte man in diesen Jahren beobachten, wie sich in den chinesischen Publikationen eine andere Linie herausbildete als die der Erstweltler. Die Linie, die sich dort herausbildete, ist keine, welche die Kämpfe der Ersten Welt überschätzt oder sich nur auf sie fokussieren würde. Diese Linie ist die Linie aus dem Artikel von Lin Biao „Es Lebe der Sieg im Volkskrieg!“ von 1965. Lin Biao identifizierte den Widerspruch zwischen der globalen Stadt und dem globalen Dorf, zwischen den ausbeuterischen und den ausgebeuteten Nationen etc. als den Hauptwiderspruch. Auf dem Höhepunkt der Kulturrevolution im Jahre 1967 publizierte zum Beispiel die „Beijing Rundschau“ einen Artikel von Robert F. Williams, welcher die Linie von Lin Biao folgendermaßen umschrieb:
„Im Einklang mit den Prinzipien des Volkskriegs, in welchen die großen Massen der ausgebeuteten Völker der Erde die ländlichen Gebiete repräsentieren, welche die Städte (die ausbeutenden Industriestaaten) umgeben, repräsentieren die afroamerikanischen Revolutionäre einen mächtigen urbanen Untergrund innerhalb der Stadt.“ (4)
Wir können daraus schließen, dass innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas ein Kampf darüber stattfand, wie die Populationen der Ersten Welt zu beurteilen sind. Mit der Publikation von Robert F. Williams, der nicht der Parteilinie folgte, schaffte auch die Linie der Parteiminderheit gelegentlich den Weg in die Medien. Leider hat sich die Linie Lin Biaos nicht gegen das durch Mao unterstützte Erstweltdogma durchsetzen können.
Misserfolg bei der Durchführung der Kulturrevolution: Innenpolitik und schleichende Rückkehr zum Kapitalismus
Weitere Fehler folgten Maos Rechtsruck nach dem Neunten Parteitag im April 1969. Bis in die 1970er rutschte Mao sowohl in der Inner- als auch in der Außenpolitik weiter nach recht. Auf diese Weise kam er in Konflikt mit vielen Maoisten. Nachdem die spontanen Massenaufstände endeten, wurde die „Gruppe Kulturrevolution“ Ende 1967 bis 1968 von ihren „Ultralinken“ gesäubert. Wang Li, ein Held aus dem Wuhan-Zwischenfall, der als Erster „die Fortsetzung der Revolution unter Diktatur des Proletariats“ theoretisch formulierte, wurde Ende 1967 weggesperrt. Dasselbe Schicksal teilten Guan Feng und Qi Benyu. Dies setzte den spontanen Massenaufständen und der Machtergreifung von unten ein Ende. 1970 verlor Chen Boda seine Macht. 1971 verlor Lin Biao seine Macht und kam ums Leben. Chen Boda und Lin Biao waren diejenigen, die am meisten zur Systematisierung und zur Entfaltung des Maoismus als neue Stufe des Marxismus beigetragen haben. Lin Biao wurde der Planung eines Staatsstreiches beschuldigt, wofür aber nie glaubhafte Beweise vorgebracht wurden, welche die Beschuldigungen stützen konnten. Das „Beweismaterial“, das am Prozess von Lin Biao vorgebracht wurde, war trivial und Vieles davon gefälscht. Die Geschichte über Lin Biaos Staatsstreich ist ein plumpes Lügenmärchen der Polizei. Interessanterweise wurden die Drahtzieher, die sogenannte Viererbande, die letzten verbleibenden Topmaoisten, 1976 ebenfalls angeklagt, einen Staatsstreich zu planen, eine Art Wiederholung von Lin Biaos Schicksal.
Nach dem Sieg der Kulturrevolution (1966-1969) und dem Neunten Parteitag (1969) wäre eine Rückkehr zur maoistischen Wirtschaftspolitik angebracht gewesen, welche von Liu Shaoqi und Deng Xiaoping während der Jahre des Großen Sprungs (1958-1962) eingestellt wurde. Der Zweck der Kulturrevolution (1966-1969) war den schleichenden Rückfall zum Kapitalismus rückgängig zu machen, als die maoistische Vorgehensweise während der Jahre des Großen Sprungs nach vorn aufgegeben wurde. Diese Niederlage während dem Großen Sprung veranlasste Mao anfänglich, von der Gefahr einer kapitalistischen Konterrevolution durch eine neue Kapitalistenklasse zu sprechen. Doch auch nachdem er die Opposition aus dem Weg geräumt hatte, kehrte Mao nach der Kulturrevolution (1966-1969) nicht zum maoistischen Entwicklungsmodel zurück. Statt am Erreichten festzuhalten und weiterzugehen, entschied sich Mao, auf die Position zurückzukehren, die große Ähnlichkeit mit dem Kompromiss besitzt, den die Revisionisten den Maoisten am Ende des Großen Sprungs aufgezwungen hatten. Die Bemühung, zu einem starken maoistischen Entwicklungsmodel zurückzukehren, für welches die Gruppe um Chen Boda und Lin Biao, informell „Fliegender Sprung“ genannt, eingetreten sind, wurde aufgegeben. Mit anderen Worten, es gab eine Abkehr vom Maoismus während den 1970er Jahren, insbesondere nachdem Lin Biao beseitigt worden ist. Zu gewissen Zeiten war auch Mao selber ein Teil dieses Schwenkers nach rechts.
Durch die 70er Jahre hindurch, als Teil dieser Wende, wurden gewisse Gerichtsurteile langsam wieder rückgängig gemacht und diejenigen, welche während der Kulturrevolution vom Schauplatz des Geschehens ferngehalten worden sind, wurden wieder dazugeholt und rehabilitiert. Zum Beispiel nahm Mao 1972 am Begräbnis von Chen Yi teil und nannte ihn einen „Genossen“. Dadurch signalisierte Mao die Aufhebung der Verurteilung dieser „gegen den Strom schwimmenden“ Führungsperson und überzeugten Gegners der Kulturrevolution. Ye Jianying, der 1976 die Verhaftung der Viererbande in die Wege leitete, und weitere Revisionisten und politisch Rechte erhielten mit Maos Einverständnis die Gelegenheit, das Machtvakuum aufzufüllen, das entstanden war, als die Vertreter der Volksbefreiungsarmee aus den Reihen der Maoisten getilgt wurden.
„In unserem Land gibt es Leute, die uns verfluchen, die sagen, dass wir komplett linksgerichtet seien. Welche Leute bilden unsere „linke Fraktion“? Es sind diejenigen, die heute den Premier, morgen Chen Yi und übermorgen Ye Jianying stürzen wollen. Diese sogenannte „linke“ Fraktion sitzt nun im Gefängnis. Für viele Jahre herrschte Chaos unter dem Himmelszelt, ein Kämpfen überall im Lande, ein ausgedehnter Bürgerkrieg. Beide Seiten schossen mit Waffen, zusammengezählt mehr als eine Million Schusswaffen. Ein Teil der Armee unterstützte diese Fraktion, der andere Teil unterstützte jene Fraktion, alles kämpfte gegeneinander. Die Macht wurde schließlich von dieser „linken“ Fraktion ergriffen… Der Ober-Hintermann [dieser „linken“ Fraktion], Lin Biao, weilt nicht mehr unter uns.“ (5)
Der berühmteste Fall war derjenige von Deng Xiaoping. Während der Kulturrevolution wurde er als „die zweite Autoritätsperson, welche den Weg des Kapitalisten einschlägt“ bezeichnet und aus dem Weg geräumt. 1972 änderte Mao seine Einstellung. Er sagte, dass das Problem von Deng Xiaoping, der sich zu dieser Zeit im Exil in Jiangxi befand, ein „Widerspruch zwischen den Menschen“ war. (6) Deng Xioaping wurde 1974 wieder an die Macht gebracht und mit Maos Segen auf einen Posten an die Führungsspitze gehievt. Später würde Deng Xiaoping die komplette Abschaffung des Sozialismus in den Achtzigern einleiten. Obwohl Mao manchmal auch mit den Revisionisten in Konflikt geriet, blieb er stets am Wanken und Schwanken. Manchmal verteidigte er sogar die Revisionisten: Deng Xiaoping wurde mehr als einmal seines Amtes enthoben, dennoch erhielt er die Unterstützung von Mao. Zum Beispiel intervenierte Mao während dem Höhepunkt der Kulturrevolution (1966-1969) persönlich, um Deng Xiaopings von Liu Shaoqis Fall zu trennen. Dadurch rettete er Deng Xiaoping und ermöglichte dessen Comeback. Mao brachte es nicht fertig, die Kulturrevolution zu Ende zu bringen.
Fehler in der globalen Ausrichtung und in der Außenpolitik
Auch in der Außenpolitik und der globalen Ausrichtung wurden Fehler gemacht. Maos Bruch mit den sowjetischen Sozialimperialisten war zwar eine korrekte Entscheidung, zum Teil, weil die Sowjets selber zu Imperialisten verkamen und sogar damit begonnen hatten, sich mit den westlichen Imperialisten zu verbünden. Aber in den 1970er Jahren fand sich auch die KPCh selber in der Situation wieder, ein Bündnis mit den Imperialisten einzugehen. Der Schwenker nach rechts war Teil der Zurückweisung von Mao, sich zu einem globalen Volkskrieg hin auszurichten, wie ihn Lin Biao vertreten hatte. Lin Biao war der Linie zugehörig, welche China als die treibende Kraft erachtete, um den globalen Volkskrieg, angeführt durch den Maoismus, zu Stande zu bringen. Die Linie Lin Biaos strebte die internationale Verbreitung des Maoismus an. Die Verwirklichung dieser Linie hätte aber zu Spannungen zwischen China und beinahe allen Staaten der Welt, ausgenommen den revolutionären und proletarischen, geführt. Die Linie Lin Biaos befürwortete den Kampf gegen den westlichen Imperialismus, der von den USA angeführt wird, sowie gegen den Sozialimperialismus der Sowjetunion. Die korrekte Linie Lin Biaos wurde schließlich von Mao als „ultralinks“ angesehen. Schon 1969 beauftragte Mao Leute wie Chen Yi und Deng Xiaoping, eine neue Linie auszuarbeiten. Letztendlich empfahl die neue Anti-Lin-Biao-Linie eine stillschweigende chinesisch-amerikanische Allianz gegen die Sowjetunion, welche die KPCh als „Hitler-ähnlich“ abstempelte. Dies wurde nachträglich mit der „Theorie der drei Welten“ aus den Siebzigern gerechtfertigt. Deng Xiaoping war der leitende Wortführer für diese Linie und Theorie während der 1970er. Die Fraktion von Lin Biao opponierte diese reaktionäre Wende in der Außenpolitik und der globalen Ausrichtung. Der Ausgang dieser neuen, reaktionären Linie bedeutete die vollständige Kapitulation vor dem Imperialismus, was unter Deng Xiaoping in den Achtzigern dann auch geschah. China, das Leuchtfeuer für alle unterdrückten Länder, schien diese nun zu verraten. Die reaktionäre Linie hatte den Effekt, dass alle von Mao beeinflussten Bewegungen weltweit diskreditiert wurden.
Die revolutionäre Bewegung wird in den kommenden Jahren vor schwierigen Herausforderungen stehen. Es gibt keine sozialistischen Staaten. Es gibt kein internationales, organisatorisches Zentrum. In dieser Situation müssen sich die revolutionärem Wissenschaftler bemerkbar machen. Es ist unsere Pflicht, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Dies macht eine schonungslose Beurteilung der Geschichte der revolutionären Bewegung absolut notwendig. Kein Stein darf auf dem anderen gelassen werden. In diesem Moment ebnet der Maoismus-Drittweltismus den Weg, indem er berichtigt, was Andere zum eigenen Nutzen verfälscht haben. Wir müssen das Richtige aus den vergangenen Bewegungen heraussuchen und es weiterentwickeln und verbessern. Dem Falschen müssen wir standhaft entgegenwirken.
Fußnoten
Originaltitel: A quick look at some of Mao’s errors
1. Mao Zedong, “I place my hopes on the people of the US“ (Ich setze meine Hoffnung auf das Volk der Vereinigten Staaten). Abgerufen von: https://web.archive.org/web/20240222082713/https://marxistleninist.wordpress.com/2009/12/23/mao-zedong-i-place-my-hopes-on-the-people-of-the-u-s/
2. Mao Zedong, “Statement Supporting the Afro-Americans in Their Just Struggle Against Racial Discrimination by U.S. Imperialism” (Bekanntmachung über die Unterstützung der Afroamerikaner in ihrem gerechten Kampf gegen rassische Diskriminierung durch den US-Imperialismus) (August 8, 1963). Abgerufen von: https://web.archive.org/web/20240222083220/https://marxistleninist.wordpress.com/2008/12/26/two-articles-by-mao-zedong-on-the-african-american-national-question/
3. Mao Zedong, “Statement by Comrade Mao Tse-tung, Chairman of the Central Committee of the Communist Party of China, in Support of the Afro-American Struggle Against Violent Repression” (Bekanntmachung von Genosse Mao Tse-Tung, Vorsitzender des Zentralkommittees der Kommunistischen Partei Chinas, über die Unterstützung des afroamerikansichen Kampfes gegen gewalttätige Unterdrückung) (April 16, 1968). Abgerufen von: https://web.archive.org/web/20240222083220/https://marxistleninist.wordpress.com/2008/12/26/two-articles-by-mao-zedong-on-the-african-american-national-question/
4. Beijing Review (August 18,1967). Abgerufen von: https://llco.org/beijing-review-robert-williams-august-12-1966/
5. Teiwes, Fredrick C. The End of the Maoist Era. M. E. Sharpe. Inc. USA: 2007, S. 1 der Einleitung.
6. Prairie Fire. “Two Roads Defeated part 2 of 3“. Abgerufen von: https://llco.org/two-roads-defeated-in-the-cultural-revolution-part-2-lin-biaos-road/