Ein Beispiel von praktischer Solidarität mit der Dritten Welt

Ein Beispiel von praktischer Solidarität mit der Dritten Welt

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In Dänemark existierte in den 80er Jahren eine Guerillagruppe nicht unähnlich der Roten Armee Fraktion. Der Unterschied zu letzteren ist, dass diese sogenannte Blekingegadebanden eine durch und durch drittweltlerische Ideologie besaß. Ihre Mitglieder versuchten, keine Revolution in der Ersten Welt zu provozieren; mit ihren äußerst erfolgreichen Banküberfällen sollten die revolutionären Bewegungen der Dritten Welt unterstützt bzw. finanziert werden.

Die Blekingegadebanden sammelte sich aus dem Kommunistisk Arbejdskreds (KAK), einer quasi-maoistischen Splittergruppe der Dänischen Kommunistischen Partei (DKP). Der KAK spaltete sich 1963 von der DKP, aufgrund verschiedener Meinungen über China und die Frage der Dritten Welt. Der KAK glaubte, dass die Arbeiterklasse der reichen Länder nicht revolutionär sei, da sie sich zur Arbeiteraristokratie entwickelt habe. Erst durch den Sturz des Imperialismus könne sie aus der Passivität gelockt werden. Die antiimperialistischen Kämpfe des globalen Südens besitzen deshalb erste Priorität – auch für die politische Arbeit in der Ersten Welt.

Im Mittelpunkt des KAK stand Gotfred Appel, der die Theorie in dieser Form entwickelt hat. Er wurde aus der DKP ausgeschlossen, da er sich auf die Seite von China stellte im Konflikt mit der Sowjetunion. Später wurden aber auch die Verbindungen mit China abgebrochen, da die chinesische Regierung die Ereignisse in den 1968er in Europa als revolutionäre Massenbewegungen betrachtete, was nicht der Analyse des KAK entsprach.

Die Theorie von Appel bestimmte auch die Praxis des KAK. Da die dänische Arbeiterklasse nicht als revolutionäres Subjekt dienen konnte, wurden Bewegungen unterstützt, die tatsächlich revolutionäres Potenzial hatten. Dieses Potenzial lokalisierte man in den Befreiungsbewegungen der Dritten Welt. Der KAK zog sich bereits früh aus der linken Szene zurück, um sich voll auf das Auftreiben von Mitteln zur Unterstützung dieser Bewegungen zu konzentrieren. Es wurden Kleidersammlungen und Spendenaktionen durchgeführt, später wurde auch ein Café eröffnet, dessen ganzer Gewinn in die Dritte Welt floss. Das war offenbar nicht genug.

Der KAK nahm Kontakt auf zur Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). Schnell war klar, dass der PFLP mit Kleidersammlungen nicht geholfen war. Da sie sich im bewaffneten Kampf befand, brauchte sie zwei Dinge: Waffen und vor allem Geld, viel Geld. Und der KAK war bereit, ihr dies zu liefern. Bis zuletzt war diese Organisation die hauptsächliche Nutznießerin der Aktionen der Gruppe.

Wahrscheinlich wurden bereits in den 70er Jahren kriminelle Aktionen ausgeführt von den späteren Mitgliedern der Blekingegadebanden. Ein Raub auf ein Waffendepot des Militärs in Schweden und verschiedene Überfälle auf Geldkuriere dürfte auf ihr Konto gehen. Es konnte ihnen nie nachgewiesen werden, da die Taten erstens verjährt waren, als die Gruppe aufflog, und zweitens schienen sie wie gewöhnliche Verbrechen ohne politischen Hintergrund. Das war das Geniale am Vorgehen der Blekingegadebanden und der Grund für ihren Erfolg. Da der KAK aus der Öffentlichkeit verschwand und da die Verbrechen nicht verübt wurden, um Agitation in der dänischen Bevölkerung zu betreiben, wurde die Gruppe lange Zeit gar nicht erst verdächtigt.

In den 70er Jahren zerbrach der KAK aus internen Differenzen. Das Problem war anscheinend, dass sich die Frauen im KAK diskriminiert fühlten, allen voran stand die Ehefrau Appels, die Co-Führerin des KAK, Ulla Hauton. Appel stellte sich auf die Seite seiner Lebensgefährtin und die Gruppe spaltete sich. Die Kritik war aber sicherlich gerechtfertigt, nur schon wenn man bedenkt, dass die Hauptakteure der Blekingegadebanden allesamt Männer waren.

Eine Handvoll ehemaliger Mitglieder des KAK sammelten sich 1978 neu als Kommunistisk Arbejdsgruppe (KA). Die Blekingegadebanden war enstanden. Blekingegadebanden wurde die KA von der Presse getauft nach ihrem Versteck in der Blekingegade (=Blekingestraße) in Kopenhagen. Der KA nahm wieder Verbindungen auf zur PFLP und setzte die kriminellen Aktivitäten fort.

Nun war aber der dänische Geheimdienst auf die Gruppe aufmerksam geworden, da der Mossad bei palästinensischen Aktivisten den Namen der Gruppe (als Codewort: Appel-Gruppe) abfangen konnte. Der Mossad machte natürlich Druck auf den dänischen Geheimdienst und involvierte sich in die Ermittlungen. Wäre die Kommunikation zwischen dem Geheimdienst und der dänischen Polizei besser gewesen, wäre die Gruppe wahrscheinlich früher aufgeflogen, da der Geheimdienst schon recht früh Hinweise auf die Aktivitäten der Gruppe besaß.

Bis in die späten 80er konnte der KA relativ ungestört ihren Plänen nachgehen. Sie machten sich dabei u.a. des Autodiebstahls, der Dokumentfälschung, des Betrugs, Postraubes, Banküberfalls und versuchten Entführung schuldig.

Erst 1988 nach einem Überfall auf den Geldtransporter einer Postfiliale, flog die Gruppe auf. Ein junger Polizist war dabei erschossen worden und die Polizei intensivierte ihre Ermittlungen. Ein halbes Jahr nach dem Vorfall wurden die Drahtzieher der Gruppe verhaftet. Ihnen konnte aber nichts nachgewiesen werden. Bei allen Verhafteten fand man einen mysteriösen Schlüssel, dessen zugehöriges Schloss die Polizei jedoch nicht finden konnte.

Ein Mitglied der KA, das nicht verhaftet worden war, geriet in Panik. Er säuberte in Eile einen Großteil von belastenden Dokumenten im Versteck in der Blekingegade. Und auch die Mordwaffe konnte er verschwinden lassen.

Er geriet dabei jedoch in einen schweren Autounfall, bei dem er sich schwer verletzte und das Augenlicht verlor. Die Umstände des Autounfalls sind recht verdächtig, da einige Jahre ein wichtiges Mitglied der KA bei einem ähnlichen Unfall ums Leben gekommen ist. Eine Verbindung zwischen den Ereignissen ist jedoch reine Spekulation.

Jedenfalls fand die Polizei im Auto des Verunfallten die Addresse des Verstecks. Sieben Personen wurde schließlich der Prozess gemacht. Sie konnten nur für ihren letzten Banküberfall, dem größten in der Geschichte Dänemarks, verurteilt werden. Drei andere Überfälle und die Planung von anderen wurden ihnen zwar angelastet, aber es gab nicht genügend Beweise dafür, da keine konkrete Verbindung zwischen einzelnen Personen und den Aktionen hergestellt werden konnte. Die Hauptschuldigen wurden jeweils zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Da nicht bestimmt werden konnte, wer den Polizeibeamten erschossen hatte, wurden sie auch nur für den Banküberfall verurteilt. (1)

Wie steht es mit einem Fazit zu dieser Gruppe aus der Sicht der KOLL?

Wenn man alle Moral beseite lässt, muss man sagen, dass der KA in seiner Praxis wohl die erfolgreichste drittweltlerische Gruppe der Ersten Welt war. Sie haben Millionen (auch in heutiger Währung) erbeutet und zweimal den Rekord für den größten Raubüberfall in Dänemark gebrochen. Sie haben der PFLP tatsächlich genützt, wenn man das nach dem Interesse der PFLP an der Gruppe beurteilen kann. Theoretisch haben sie aber versagt. Sie haben nie versucht, ihre Theorie größeren Kreisen wirklich zugänglich zu machen, vor allem auch den Menschen in der Dritten Welt. Die PFLP selbst hatte wahrscheinlich keine drittweltlerische Einstellung im Sinne des KAK/KA. Dabei hätte ihre Theorie einiges zu bieten.

Genossinnen und Genossen der Ersten Welt fragen immer als Erstes, wenn sie den Standpunkt des drittweltlerischen Kommunismus hören und ihm teilweise zustimmen, was sie denn in der Ersten Welt tun können. Sollen sie ihre politische Aktivität aufgeben, wenn das Proletariat der Ersten Welt eine Arbeiteraristokratie geworden ist und die Revolution in der Ersten Welt nicht möglich ist? Die Antwort der KAK/KA darauf ist erstaunlich:

Sie sagen, man muss sich in den Dienst derjenigen Klassen stellen, die ein Interesse haben, den Imperialismus zu stürzen – egal, wo sich diese Klassen geografisch befinden. (2)

Die Leute im Kommunistisk Arbejdskreds stellten sich die Frage, wieso sich die Arbeiterklasse der westlichen Welt nicht für eine Revolution zu interessieren scheint. Sie sahen, dass die Arbeiterklasse in den reichen Ländern als eine Arbeiteraristokratie Teil der Bourgeoisie geworden ist und von der Ausbeutung der Menschen in der Dritten Welt profitiert. Sie entwickelten daraus eine neue Theorie, welche auf einer realistischen Betrachtung der Welt um sie herum basierte, und nannten diese die “Schmarotzerstaatentheorie”. Diese Theorie bestimmte ihre Praxis: Sie unterstützten revolutionäre Klassen, die ein Interesse hatten, den Imperialismus zu stürzen – egal, wo. Ihre Praxis bestand darin, dass sie einerseits die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt materiell unterstützten und andererseits die Entwicklung des Kapitalismus theoretisch untersuchten. Sie sammelten beispielsweise alte Kleider und schickten sie zu den Befreiungsbewegungen in Südafrika. Sie veranstalteten Flohmärkte, um Geld zu sammeln für die PFLP. (3)

Und dann begannen eben einige Mitglieder auch extremere Aktionen wie Banküberfälle zu starten, um an Geld zu kommen. Der Grund dafür liegt sehr wahrscheinlich an der begrenzten Wirkung von Kleidersammelaktionen und Flohmärkten.

Heißt das nun, dass sich eine wirklich praktische Solidarität mit der Dritten Welt, wie sie der KAK/KA ausgeübt hat, entweder wirkungslos ist oder in einer Katastrophe enden muss?

Nein.
Erstens können die revolutionären Bewegungen der Dritten Welt die theoretische Arbeit der Drittweltkommunistinnen und -kommunisten der Ersten Welt unbedingt gebrauchen. Das Dogma, dass die Arbeiterschaft der Ersten Welt ihren Lebensstandard – der für die Dritte Welt traumhaft ist – aus eigener Kraft, d.h. ohne Imperialismus, geschaffen hat, muss gebrochen werden. Dieses Dogma bedeutet für die fortschrittlichen Kräfte der Dritten Welt Passivität, da für die traumhafte Entwicklung zum höheren Lebensstandard offensichtlich keine Revolution nötig ist, bloß Reform.

Auch gibt es noch viele offene Fragen in der Theorie, z.B. die genaue ökonomische Rolle der Monopole in der Beziehung zur Dritten Welt. Arghiri Emmanuel, der Begründer der dependency theory, lehnte die Monopolkapitalismustheorie von Lenin ab und beharrte darauf, dass die freie Konkurrenz noch immer existierte. (4) Er scheint Lenin nicht recht gelesen zu haben, denn dieser sagt klar:

“Die Monopole [beseitigen] nicht die freie Konkurrenz, aus der sie erwachsen, sondern bestehen über und neben ihr und erzeugen dadurch eine Reihe besonders krasser und schroffer Widersprüche, Reibungen und Konflikte.” (5)

Zwischen Monopol und freier Konkurrenz gibt es eine dialektische Beziehung, und erst aus dieser ergibt sich überhaupt eine ungleiche Entwicklung! Die Erste Welt ist eine Art Monopol auf globaler Ebene bezüglich den Extraprofiten der Erstweltkapitalisten und den Superlöhnen der Erstweltarbeiterinnen.

Zweitens bleibt die finanzielle Unterstützung der Dritten Welt notwendig. Und zwar nicht über irgendwelche Hilfsorganisationen à la World Vision und UNICEF, da diese nie das System ändern oder gar ändern wollen. Unterstützt werden müssen politische Organisationen, die ein Systemwechsel herbeiführen können. Die LLCO bietet eine Möglichkeit, direkt drittweltlerische Bewegungen in Bangladesh oder den Philippinen zu unterstützen.

Auch Menschen in der Ersten Welt können also etwas tun, und es muss viel getan werden.

Quellen:

1. P. Knudsen: Der Innere Kreis. Blekingegade-Bande. Osburg Verlag. Berlin 2010.

2. http://snylterstaten.dk/english/preface-arghiri-emmanuel

3. http://anti-imperialism.com/2013/09/26/snylterstaten-a-short-introduction-for-non-danish-readers/

4. http://monthlyreview.org/2013/10/01/primitive-accumulation-and-imperialism

5. W. I. Lenin. Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Verlag Das Freie Buch. München 2001. S. 99

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